Mittwoch, 9. November 2005

Münte soll den Karren aus dem Dreck holen ... und fährt ihn vor die Wand

Nun auch noch ein Kommentar von mir zu Münteferings Sturz; ein wenig spät, wegen akutem Zeitmangel in den letzten Wochen. Aber dafür habe ich es an anderer Stelle »schon gleich« gesagt, nämlich in meinem Blogeintrag zum 19.9. direkt nach der Wahl:
  »Schröders Sturz, der im Rahmen einer großen Koalition vermutlich unumgänglich wäre, würde zugleich auch die Teile der SPD schwächen, die einer großen Koalition am besten zuarbeiten können.«
  Nun, ich muss sagen: Der damals prognostizierte Konflikt mit den linken Strömungen in der SPD kam jetzt deutlich früher zum Tragen als ich seinerzeit erwartet hätte. Ich hätte der SPD durchaus zugetraut, zumindest die Koalitionsverhandlungen zum Abschluss zu bringen, ehe sie wieder untereinander zu streiten anfangen.


Im Gegensatz zu »manch anderem« Kommentator bin ich allerdings nicht der Ansicht, dass Münteferings Sturz dem SPD-Präsidium anzulasten ist. Diesen Karren hat er ganz alleine und ohne Not vor die Wand gefahren.
  Jedem Beobachter der politischen Szene war klar, dass die Partei einen anderen Kandidaten wollte als Müntefering. Müntefering wollte allerdings ein Ergebnis in seinem Sinne erzwingen. Vermutlich dachte er, er könne es einfach so halten, wie Schröder es oft genug vorgemacht hat: Eine Sachfrage zu einer persönlichen Entscheidung hochstilisieren. Da Müntes Spezi Wasserhövel eine faire Wahl nicht gewinnen konnte, wollte Müntefering vorsichtshalber lieber über sich abstimmen lassen; also nicht: Wer wird Generalsekretär(in)? Sondern: Seid ihr für mich oder gegen mich?
  Was Müntefering leider übersehen hat: Er ist kein Schröder und beherrscht dieses Spiel nicht. Eine Abstimmung über die Persönlichkeit konnte er nur verlieren, denn die Sache und der Kompromiss war stets Münteferings einzige Chance; der Grund, warum er überhaupt an der Stelle stand, wo er bis zu seinem Rücktritt gestanden hat.
  Jetzt steht er nicht mehr da, und das ist irgendwie auch folgerichtig so.


Manch einen habe ich nun darüber klagen hören, dass die SPD sich selbst zerfleischt; dass sie Müntefering in den Rücken gefallen ist, gar die Gefolgschaft verweigert hat ... Ich vermisse in der Presse die Stimmen, die Müntefering klipp und klar die Verantwortung zuweisen, die er auch trägt. Was hätte der SPD-Vorstand tun sollen? Etwa den Kandidaten absegnen, den Müntefering vorschlug, obwohl er ihnen aufgezwungen wurde?
  Moment mal! Wenn Müntefering ein Recht darauf gehabt hätte, den General seiner Partei zu bestimmen, warum darf dann der Parteivorsitzende den Generalsekretär nicht einfach ernennen? Die Regeln sind nun mal nicht so: Generalsekretär ist ein Wahlamt. Und dass der Kandidat eines Wahlamtes von oben vorgeschlagen und von den Wählern nur noch abgesegnet wird – so etwas darf es in einer Demokratie eigentlich nicht geben!
  Warum sind so viele Medien noch nicht in der angeblich so gefestigten Demokratie angekommen? Warum huldigen viele Kommentatoren der politischem Presse nicht dem demokratischem Prozedere, sondern viel lieber einer »starken Führung«? Nun, das Vokabular dabei ist schon verräterisch: »Königsmord« las ich zu Münteferings Sturz beispielsweise in meiner Tageszeitung; da schimmert doch gleich die Geisteshaltung der entsprechenden Journalisten in der Wortwahl durch.


Und damit schließt sich der Kreis, und ich bin auch an der Stelle angekommen, wo ich das eigentliche Drama von Münteferings Sturz sehe. Für die SPD war der Vorfall gar nicht mal so schädlich: Der Konflikt, der hier aufbrach, war abzusehen und unvermeidlich – sonst hätte ich es wohl kaum schon vor zwei Monaten vorausgesehen. Dass er früher eintrat als erwartet, mag heilsam sein. Besser ein schneller, sauberer Schnitt als ein monatelang schwelender Streit, und unter Platzeck können sich die Kräfte der Nach-Schröder-Ära womöglich neu stabilisieren.
  Aber verheerend fand ich das Bild, dass die politische Presse in dieser Angelegenheit abgab. Eigentlich soll die Presse in der Demokratie ein Wächteramt innehaben. Wenn dieses Wächteramt nun aber von Persönlichkeiten mit eher monarchistischer Gesinnung wahrgenommen wird – wer bewacht dann diese Wächter?

Keine Kommentare: