Samstag, 12. November 2005

Neue Einsparungen im Einzelhandel: Wir sparen uns das Verkaufen!

Ich denke, ich habe es hier schon öfter angedeutet: Meiner Ansicht nach ist nicht die schlechte Konjunktur schuld an der Krise des Einzelhandels; es liegt auch nicht an einer Konsumverweigerung des Kunden. Vielmehr ist das Problem hausgemacht. Der Einzelhandel schaufelt sich durch seine Geschäftspolitik oder simple betriebswirtschaftliche Fehler selbst sein Grab.
  Ganz nach dem Motto: »Mein Laden könnte so schön sein, wenn nur nicht immer wieder Kunden drin rumlaufen würden.«


Heute möchte ich diese Einschätzung mal wieder durch zwei konkrete Beobachtungen aus der Praxis untermauern. Beispiel 1: »Bitte lasst diese dekorativen Plätzchen hier liegen. Die sind nur zum Anschauen, nicht zum Kaufen!«
  Gestern beim Einkaufen sah ich nämlich in der Weihnachtsecke beim Plus ein Paket Plätzchen liegen, die recht appetitlich aussahen. Ich überlegte mir tatsächlich, eine Tüte dieser Produkte zu kaufen. Damit hatte der Händler anscheinend nicht gerechnet, denn er hatte die Preisauszeichnung vergessen.
  Ich schaute mich gründlich um. Preise auf der Ware sind ohnehin von gestern; daran habe ich mich inzwischen ja gewöhnt. Aber auch an dem Korb, in dem die Kekstüten lagen, war kein Preisschild zu erkennen. Dieser Korb war Bestandteil eines großen Ständers, und oben am Ständer waren auch jede Menge Preisschilder angebracht, für all die Waren, die im Ständer untergebracht sind. Da nun die Preise nicht unbedingt über der Ware zu finden sind, zu der sie gehören, musste ich sämtliche Preisschilder durchlesen, die dort hingen.
  Das war nicht uninteressant, denn ich konnte dabei feststellen, dass ungefähr 99 Preisschilder dabei waren, zu denen es gar keine Waren gab. Dafür fehlte das gesuchte Preisschild völlig.
  Nun hätte ich das Abenteuer noch verlängern können, indem ich einen Verkäufer suche und nachfrage. Aber irgendwie stellte ich fest, dass mir der Ärger über die vergebliche Suche auf den Magen geschlagen und der Appetit auf die Kekse ohnehin vergangen war. Also verzichtete ich auf den Kauf und sparte mir das Geld.


Zu meinem Ärger trug auch eine weitere Beobachtung bei, die ich kurz vorher machte und die ich jetzt als Beispiel 2 vorstellen will, unter dem Titel: »Kunde, kauf was ich will – nicht was du willst.«
  Dieses Beispiel hat eine Vorgeschichte: Wir kaufen regelmäßig Dosen mit Currywurst, um daraus bei unseren Rollenspielabenden Pizza zu machen. Und, ja, ehe die Rückfragen kommen: Das schmeckt tatsächlich und ist sehr beliebt, aber das tut hier nichts zur Sache.
  Wichtig ist in erster Linie, dass diese Dosen mit Currywurst im Laden nur in Kartons mit zwei anderen Produkten angeliefert werden: Ein Drittel der Dosen im Karton sind Currywurst, ein Drittel »Currybällchen« und ein weiteres Drittel ... äh, irgendwas anderes. Jedenfalls stellte sich rasch heraus, dass nicht nur wir diese Currywurst mochten, sondern auch andere Kunden. Und so kam es, dass sich bald ein Dutzend Kartons stapelten, in denen jeweils die Currywurst ausverkauft war, während die anderen Dosen liegen blieben.
  Kaufmännisch kluges Verhalten wäre es nun gewesen, mehr von der Currywurst zu ordern und weniger von dem Rest. Der Lieferant muss sich halt der Nachfrage anpassen, oder sterben. Stattdessen versuchte der Händler, den Kunden zu erpressen und so lange keine Currywurst mehr anzubieten, bis die Kunden auch den Rest der Dosen aufgekauft hatten. Das Ergebnis war deutlich zu beobachten: Wochenlang blieben die zweidrittelvollen Kartons stehen und der Laden verkaufte von diesem Produkt überhaupt nichts mehr.
  Inzwischen allerdings wurde für das Problem eine Lösung gefunden: Die Kartons werden nun so hingestellt, dass man die Currywurstdosen als uneingeweihter Kunde nicht mehr sehen kann und auch nur noch unter Verrenkungen drankommt. Die Rechnung geht auf: Die Currywurst ist seither nicht mehr vorzeitig ausverkauft, und als gut informierter Kunde, der weiß, wo sie sich versteckt, findet man immer noch einen ausreichenden Vorrat der gesuchten Dosen.
  Ich könnte also zufrieden sein – wenn ich nicht pausenlos bei diesem Anblick den Kopf schütteln müsste über die betriebswirtschaftliche Dummheit. Die »Schnelldreher« und umsatzstarken Produkte nach hinten stellen, wo niemand sie sieht, und sie hinter den Ladenhütern verstecken! Hallo? Gibt's hier irgendwo Kaufmannsgehirne billiger?
  Jetzt verkaufen sich vielleicht alle Sorten im Karton gleich gut – aber viel eher wohl gleich schlecht. Denn die schlecht verkäuflichen Waren bestimmen nun den Gesamtumsatz, und der einstige Renner wird jetzt nur noch von denen gekauft, die wirklich danach suchen; Laufkundschaft ausgeschlossen.
  Und das eigentlich Traurige ist, dass nun womöglich die gut verkäuflichen Currywürste irgendwann aus dem Programm verschwinden werden. Denn ich fürchte, in der Buchführung werden nur die insgesamt verkauften Kartons erfasst, und die Geschäftsführung wird gar nicht mitbekommen, dass sich in diesem Sammelpaket ein Verkaufsschlager befindet, der nur vom übrigen Gebinde künstlich ausgebremst wird.
  Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Schlüsselprodukt auf diese Weise aus dem Laden verschwindet.

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