Montag, 21. November 2005

Stoiber, mein Held...

Nun ist es schon eine ganze Weile her, dass Stoiber in Berlin die Brocken hingeworfen hat. Zusammen mit Müntes Sturz hat er Merkel damit die erste Regierungskrise beschert, ehe ihre Regierung überhaupt die Arbeit aufgenommen hat. Auch das ist eine Leistung, die Maßstäbe setzt.
  Ich möchte hier also Stoiber mal einen etwas anderen »Nachruf« setzen, als man sonst so in der Presse zu lesen kriegt. Denn ganz ehrlich: Stoiber war für mich der einzige Lichtblick im Berliner Politzirkus. Nicht unbedingt, was das politische Format betrifft. Aber ganz gewiss vom Unterhaltungswert.
  Wenn man glauben darf, was man in den Zeitungen liest, wird man in nächster Zeit nicht mehr viel von ihm hören. Angeblich ist er zu geschwächt, um Merkel noch ins Handwerk pfuschen zu können; er muss sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und in der Heimat erst mal wieder Boden unter den Füßen gewinnen. Er kann es sich gar nicht erlauben, wieder loszupoltern und ungeschickt aufzutreten.
  Ganz ehrlich: Das alles klingt richtig. Aber das hätte ich auch vorher schon jedesmal angenommen. Und doch hat Stoiber es schon seit dem Wahlkampf geschafft, jede Woche aufs Neue von sich reden zu machen, und jedes Mal konnte man sich an den Kopf fassen und feststellen: »Das kann der doch wohl nicht gesagt haben ... Das kann doch wohl nicht ...«
  Doch, Stoiber kann. Und wann immer ich geglaubt habe, jetzt müsse er in Zukunft vorsichtiger sein, dann wurde ich eines besseren belehrt und Stoiber stöberte den nächsten Fettnapf auf.
  Das zeugt nicht von politischem Verstand. Auch nicht, wie gesagt, von politischem Format. Aber es erzeugt jedes Mal ein ungläubiges Lachen. Und zu lachen hat man in der Politik nicht allzu viel.
  Also schaue ich von nun an erwartungsvoll nach München.


In gewisser Hinsicht erinnert Stoiber dabei an seinen politischen Stammvater Strauß. Dessen Schwergewichtskämpfe gegen Kohl sind mir aus meiner Jugend noch gut in Erinnerung: Der bayrische Stachel im Arsch des Bundeskanzlers.
  In gleicher Weise betätigte sich Stoiber bisher als Merkels Pferdebremse. Nur mit einem Unterschied: Strauß sorgte mit seinen Vorstößen für manchen Schenkelklopfer, aber insgesamt war der Konflikt durchaus ernst. Bei Stoiber haben diese Eskapaden hingegen etwas Clowneskes an sich. Und ein Clown passt ja zumindest begrifflich in den »Politzirkus«.
  Also, vielleicht sollte ich mich schämen, so etwas lustig zu finden. Immerhin ging ja auch diesmal um ernste Dinge, um Deutschlands Zukunft gar. Es ist auch völlig unverständlich, warum Stoiber es so darauf anlegt hat, den Anekdotenschatz der Tagespolitik zu bereichern: Rein politisch-inhaltlich hatte ich von Stoiber nichts Dummes gehört; zumindest nicht, seit er selbst als Bundeskanzler kandidierte. Ich war also durchaus geneigt, ihn als Politiker ernst zu nehmen. Aber gerade weil man es nicht verstehen kann, wirkt es umso erheiternder, wenn er sich als Kabinettsclown ohne Not selbst demontiert. Oder sollte man sagen: Umso trauriger?
  Ich gebe zu: Ich lache lieber und schäme mich nicht. Dass ich Merkel im Amt des Bundeskanzlers als Zumutung empfinde, habe ich vorher schon oft genug gesagt. Wenn also demnächst eine neue Regierung auf dem Niveau der Bush-Administration tatsächlich mit dem Anschein von Ernst ihre Arbeit aufnimmt, dann kann ich nur noch trauern und mich vor der Welt schämen.
  Aber wenn durch Stoibers Possen die Berliner Politik auf der Witzseite des Lebens landet, kann ich wenigstens mitlachen und mich der Illusion hingeben, es wäre alles noch nicht so wirklich. Vielleicht kommt also schon nächste Woche wieder eine Meldung von Stoiber, irgendwas Surreales, völlig Abwegiges und Unglaubwürdiges. Und dann kann ich mich noch etwas länger der Illusion hingegeben, dass das alles nur eine schlechte Geschichte ist, eine Illusion, und nicht das jahrelange Jammertal der deutschen Alltagspolitik.
  Also: Stoiber, hilf! Kümmere dich nicht um Vernunft, Folgerichtigkeit, machtpolitische Verhältnisse. Mach irgendwas, nur damit ich auch weiterhin sagen kann: »Das kann doch alles nicht wahr sein!«


Mehr erwartete ich im Moment gar nicht. Und billiger dürfte der Titel »Held der Politik« auf absehbare Zeit nicht von mir zu kriegen sein.

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