Freitag, 5. Januar 2007

Bewerberüberhang

Viele Firmen sehen ihr Heil in einem möglichst großen Bewerberüberhang: Die angespannte Lage auf dem Arbeitsmarkt macht es möglich, Löhne zu drücken und verschafft zudem eine große Auswahl an Bewerbern, unter denen man den besten aussuchen kann.
  Außerdem glauben die meisten Unternehmen, dass eine große Mobilität der Arbeitskräfte nützlich für sie ist. Denn wenn Arbeitnehmer sich nicht nur vor Ort bewerben, sondern überall im Bundesgebiet, wo gerade eine Stelle angeboten wird, dann können die Firmen sich für jede Stelle den besten Bewerber aus ganz Deutschland aussuchen.
  So stellt sich also die Unternehmerseite oft genug den optimalen Arbeitsmarkt vor.
  Aber ist das wirklich so?


Einfache Mathematik macht deutlich, dass ein allzu großer Bewerberüberhang zwangsläufig gerade die Sekundärtugenden ausselektiert, auf die Unternehmen so viel Wert legen. Denn wenn 100 Bewerber auf eine Stelle kommen, bedeutet dies automatisch und zwangsläufig auch, dass ein Bewerber 100 Bewerbungen und mehr schreiben muss, ehe er wieder einen Job hat.
  Bei diesem Umfang ist es unmöglich, dass der Bewerber sich wirklich noch gründlich über das Unternehmen informiert oder irgendeine persönliche Beziehung zu dem Unternehmen hat, bei dem er sich bewirbt. Aber genau das muss er in seinen Bewerbungen zeigen. Und so wird systematisch die Bewerberlüge in das System gezüchtet.
  Wenn nun aber die Unehrlichkeit in Bewerbungen systemimmanent gefördert  wird, führt das im zweiten Schritt dazu, dass eine überzeugend wirkende Unehrlichkeit zunehmend zum positiven, wenn auch unerwünschten Selektionskriterium für Arbeitnehmer wird – und somit erhalten die besten Blender zunehmend die besten Chancen. Stellenrelevante Qualitäten werden dadurch vernebelt, und die angebliche Auswahl wird für Unternehmen zur Farce.


Nun wird auch noch von einer anderen Seite her der Druck auf potenzielle Arbeitnehmer verstärkt: Die Umgestaltung des sozialen Systems soll zunehmend auch Arbeitsunwillige dazu zwingen, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen – und diese Bemühungen sollen auch noch auf eine Weise vonstatten gehen, die ernsthaft wirkt. Was in der Praxis bedeutet: Wer tatsächlich arbeitsunwillig ist, muss das in seinen Bewerbungen nach Kräften verschleiern.
  Wenn man nun aber Tausende von Bewerbern dazu zwingt, sich auf eine Stelle zu bewerben, die sie gar nicht wollen, dann müssen die Personalchefs auch unter tausend Lügnern und Betrügern den geeigneten Kandidaten herausfinden. Die Firmen wählen zunehmend unter Bewerbern, die sich nur widerwillig bewerben und dazu gezwungen werden, diesen Widerwillen durch möglichst überzeugende Heuchelei zu vertuschen. Wahrscheinlich findet man eher eine gute Arbeitskraft, wenn man nur unter wenigen zu wählen hat, dafür aber nur unter den hochmotivierten und perfekt für die Stelle passenden Bewerbern.
  Fazit: Ein allzu großer Bewerberüberhang und behördlicher Druck auf Arbeitssuchende schadet der Wirtschaft letztendlich. Diese Faktoren erhöhen die nichtproduktiven Kosten der Unternehmen und steigern auch die Wahrscheinlichkeit, dass Stellen fehlbesetzt werden – was immer ein besonders kostspieliger Fehler ist.


Das stimmt natürlich nicht immer und in jeder Konstellation. Arbeitskräftemangel erzeugt Kosten für die Wirtschaft und Verluste durch nicht zu besetzende Stellen – und ein gewisser Bewerberüberhang hat tatsächlich kostendämpfende Wirkung und ist zudem absolut notwendig, um zeitliche und räumliche Ungleichgewichte statistisch ausgleichen zu können.
  Aber: Es gibt eine Grenze, ab der dieses für die Wirtschaft optimale Verhältnis kippt und unerwünschte Nebenwirkungen anfangen, von ganz unerwarteten Seiten her die positiven Effekte scheinbar günstiger Verhältnisse aufzuzehren. Auch hier bewahrheitet sich mal wieder der schon früher im Blog angebrachte Spruch: Wer zu gierig ist, geht am Ende leer aus.
  Nur, wenn die Wirtschaft am Ende nicht die richtigen Arbeitskräfte kriegt, leiden nicht die Unternehmen, sondern die Gesellschaft insgesamt.

Keine Kommentare: