Dienstag, 1. August 2017

Das »Postfaktische Zeitalter« fing mit PC an

Gestern in der Redaktion las ich vom »Handicap-Sportler«, und in dem Augenblick wurde mir bewusst: Das in jüngster Zeit so viel diskutierte und beklagte »Postfaktische Zeitalter« fing nicht etwa mit »Fake News« und »Populisten« an, sondern im Grunde schon mit der Einführung der »Political Correctness«. Denn schon dabei ging es im Grunde darum, übliche und von jedem verstandene Begriffe durch Wortneuschöpfungen zu ersetzen in der Hoffnung, deren Inhalte dann nach Belieben und nach eigenen Vorstellungen neu definieren zu können.
  Dass diese Vorstellung dem nicht mehr ganz neuen Gedanken des »Neusprech« folgt und in der Praxis nicht richtig funktioniert ... soll hier nicht das Thema sein. Wichtig ist vor allem, dass PC in Hinblick auf Sprache nicht mehr den Informationsgehalt, sondern vor allem das damit erzeugte Gefühl in den Mittelpunkt stellt. Der Gedanke dahinter ist ja der, dass Sprache insbesondere die gewünschten Gefühle transportieren soll, und dass weniger der Informationsgehalt und die allgemeine Verständlichkeit der Worte im Mittelpunkt steht, als vielmehr die Gefühle, die sie bei bestimmten gesellschaftlichen Gruppen auslösen oder auslösen könnten.
  Was ganz genau derselbe Ansatz ist, den »Fake News« und »Postfaktische Informationen« einfach nur in der letzten Konsequenz umsetzen. Denn auch dabei geht es ja nicht um einfache Lügen oder Falschmeldungen - vielmehr steht das gewünschte Gefühl im Mittelpunkt der »postfaktischen« Botschaft. Die inhaltliche Wahrheit und die Details werden irgendwie darum herumgebogen.

Mein Gefühl ist jetzt also: Wenn die bisherigen Meinungsbildner die »postfaktischen Fake News« beklagen, gilt die Klage weniger der fehlenden Sachlichkeit als vielmehr dem Umstand, dass nun plötzlich der politische Gegner die Werkzeuge gegen sie verwendet, mit denen sie zuvor versucht haben, die Gesellschaft in ihrem Sinne zu beeinflussen. Nur mit dem Unterschied, dass dieser politische Gegner dieselben Mechanismen noch ein Stück skrupelloser und dadurch - wen überrascht's? - sogar um einiges wirkungsvoller an seine Rezipienten bringt.
  Denn während die Political Correctness versucht, mit intellektuellem Feinsinn die Sprache zu verbiegen und die gewünschten politischen Botschaften ganz subtil durch die Hintertür in die Köpfe einer für Hintersinn meist unempfänglichen Mehrheit zu bringen, schieben die Populisten den ganzen Ballast, der PC immer ein wenig schwerfällig und lächerlich wirken lässt, einfach beiseite, und sprechen die Gefühle direkt an ... und was könnte direkter sein als eine Lüge?
  Aber von der »Neudefinition«, wie sie die in der PC zum Einsatz kommt, ist die Lüge tatsächlich nur einen winzigen Schritt weit entfernt, und eigentlich sollte es niemanden überraschen, dass, wenn man die Neudefinition gesellschaftsfähig macht, bald irgendjemand den nächsten Schritt auch noch geht.

So erinnert mich das Ganze wiederum an eine Beobachtung, die ich während meines Geschichtsstudiums schon gemacht habe: Da war mir nämlich bei der Spätphase der römischen Republik bewusst geworden, wie der Senat in der Auseinandersetzung mit den Populisten nach und nach Traditionen und Werte der Republik aufgegeben hat, um jeweils eine neue Kampfmaßnahme gegen seine populistischen Gegner zu gewinnen - und wie genau diese Neuerungen mit der schönsten Regelmäßigkeit etwa eine halbe Generation später von den Gegnern der Republik gegen den Senat gekehrt wurden. Woraufhin der Senat sich genötigt fühlte, zur Verteidigung der Republik den nächsten Präzedenzfall zu schaffen, ein weiteres Stück republikanischen Denkens zu opfern, um einen kurzfristigen Vorteil gegen die Populisten zu gewinnen ... Bis am Ende irgendwann nichts mehr von der Republik übrig war.
  In diesem Sinn bin ich zuversichtlich, dass die Verteidiger der Demokratie auch heute wieder einen Weg finden werden, um »Fake News« und postfaktische Stimmungsmache der modernen Populisten zu kontern. Obwohl »zuversichtlich« in diesem Kontext vielleicht nicht ganz die richtige Wortwahl ist.

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