Sonntag, 12. Februar 2006

Die Wahrheit über Mohammed

Endlich weiß ich die Wahrheit über Mohammed – oder, besser gesagt: Endlich habe ich auch mal die umstrittenen 12 Karikaturen über Mohammed gesehen, die derzeit die Welt bewegen, und konnte mir selbst ein Bild über den Anlass des Konflikts machen. Und ich muss sagen, der Anblick war ebenso erhellend wie überraschend.
  Die Karikaturen wirkten größtenteils eher harmlos. Auf manch einem Bild sah man kaum mehr als einen bärtigen Mann mit Turban in neutraler Umgebung, manchmal bot das Bild Raum für alberne, aber eher müde Scherze, die ich nach menschlichem Ermessen jedenfalls nicht als »beleidigend« eingestuft hätte – zumindest nicht als beleidigend für den Islam (Mohammed beispielsweise, wie er vor einer Tafel steht, auf der in arabischer Schrift die Redakteure der Zeitung beschimpft werden, und dem Betrachter die Zunge rausstreckt).
  Zu diesen belanglosen Zeichnungen kommen auch ein paar Karikaturen mit einer politischen Aussage, die ich als »sachangemessen« bezeichnet hätte: Ein Karikaturist zeichnet Mohammed und blickt sich ängstlich um, ob ihm auch keiner zusieht – na ja, die Reaktionen auf die Bilder beweisen ja, dass der darin anklingende Vorwurf wirklichkeitsnah war. Ein Bild mit Mohammed, bei dem der Turban als Bombe gestaltet ist; und ein weiteres Bild, wo Mohammed vor den Toren des Paradieses Selbstmordattentäter abweist: »Stopp! Uns sind die Jungfrauen ausgegangen.«
  Verglichen mit den terroristischen Anschlägen im Namen des Glaubens, die damit karikiert werden, muss man wohl auch diese Zeichnungen als harmlos betrachten – und wer diese Bilder mehr kritisiert als die menschenverachtenden Attentate, auf die sie sich beziehen, muss sich schon fragen lassen, ob seine Religion für angemessene und menschliches Miteinander befördernde Werte steht. Und, ach ja, dann gibt es noch eine regelrecht originelle, hintergründige Karikatur – zwei Frauen in Burka und davor ein »Mohammed« mit einem schwarzen Balken vor den Augen, der genau den Aussparungen in den schwarzen Gewändern der Frauen entspricht.
  Die ganze Provokation bei diesen Bildern liegt wohl kaum in den Zeichnungen, sondern eher darin, dass über all den Bildern explizit »Mohammed« steht – sonst wüsste man kaum, wer überhaupt gemeint ist. Wie also konnten diese so einen Aufruhr auslösen? Immerhin erwartet man ja von den Christen hierzulande, dass sie tagtäglich weit boshaftere Darstellungen ihrer Religion dulden müssen.
  Ich kann es mir so recht nicht erklären. Vielleicht ist es eine Prinzipienfrage, weil man angeblich im Islam Mohammed ja gar nicht darstellen darf – aber andererseits wurden die Bilder von Nicht-Mohammedanern gefertigt, und man kann kaum erwarten, dass die sich an das islamische Bilderverbot halten. Immerhin erwartet man von »Ungläubigen« ja auch nicht dass sie penibel die Gesetze des Propheten einhalten. Auch dass Mohammed mitunter grimmig und in Waffen dargestellt wird, kann man wohl kaum als Beleidigung ansehen. Immerhin gibt es genug Menschen islamischen Glaubens, die selbst voll stolz ihre Waffen tragen und das durchaus als ihrem Glauben konform ansehen.
  Und – mehr ist dort nicht zu finden. Man kann sich über die politische Aussage mancher Karikatur stören; man kann den Bildern vorwerfen, dass sie den Islam mit Stereotypen in Verbindung bringen, oder die Taten weniger in den Vordergrund stellen ... Aber eine Beleidigung des Glaubens oder gar eine Verhöhnung des Propheten kann ich nirgendwo erkennen. Insgesamt würde ich den Tenor eher als bieder erachten – ich habe bereits weit drastischere Karikaturen gesehen, auch über den Islam, die keinerlei Reaktionen nach sich zogen.
  Ich habe im Verlauf der ganzen Diskussion auch gelesen, dass die islamischen Aktivisten aus Dänemark, die die Bilder in der arabischen Welt bekannt gemacht haben, drei eigene und weit drastischere Karikaturen beigelegt haben. Fälschungen also, die tatsächlich geeignet sind, Emotionen zu schüren und beleidigend zu wirken. Das wäre eine Erklärung – wenn es nicht nur ein Gerücht ist. Aber ansonsten fehlt mir nach dem Anblick der Ursache doch jedes Verständnis für den Streit.

Ich würde also jedem empfehlen, der eine Meinung zu den Karikaturen hat, sich die Bilder wirklich mal anzusehen – ob er nun als Mensch mohammedanischen Glaubens gegen die Karikaturen protestiert, ob er als friedlicher Europäer den Redakteuren »Verantwortungslosigkeit« vorwerfen möchte oder ob er das ganze als »Grundsatzfrage der Meinungsfreiheit« hochstilisieren will. Meine Ansicht zu dem Thema hat sich jedenfalls deutlich gewandelt, nachdem ich mich so gründlich informieren konnte. Und ich fühle mich nun von gewissen Formen des Protestes mindestens ebenso angegriffen wie die protestierenden Moslems von den Karikaturen.
  Karikaturen an sich sind sicher ein Grundpfeiler der Meinungsfreiheit. Die Schutzwürdigkeit religiöser Überzeugungen sind allerdings auch ein Wert. Seitdem ich jedoch weiß, um wie viel die Karikaturen noch unter dem »Mainstream« politischer Satire bleiben, seitdem bin ich auch davon überzeugt, dass man den Protesten nicht nachgeben darf – und zwar nicht nur aus Prinzip, sondern ganz konkret dem Anlass entsprechend. Und ich kann jetzt voll verstehen, warum die Dänen eine Entschuldigung vermieden haben, und empfinde Hochachtung vor ihrer Haltung.
  Einen Staat, in dem politische Satire auf der harmlosen Ebene, auf der sich die Karikaturen bewegen, verboten wäre, würde ich nicht mehr als westliche Demokratie nach meinem Verständnis ansehen. Wer solche Bilder verbieten will, der würde auch noch ganz andere Werte unserer Kultur abschaffen – und kann daher nicht Maßstab unseres Handelns sein. Und sollte es auch nicht werden. Die Karikaturen sind in ihrer konkreten Ausprägung nicht einmal in der Nähe dessen, was ich als »umstrittene Zone« beleidigender Satire ansehen würde.
  Statt einer Entschuldigung an oder Kompromissen mit Gewalttätern wäre es vielleicht eher angemessen, die betreffenden Karikaturen als Bestandteil in die gleichfalls umstrittenen »Einbürgerungsfragebögen« aufzunehmen, die in manchen Bundesländern für moslemische Bewerber um die deutsche Staatsbürgerschaft ausgegeben werden; verbunden mit einer Frage wie »Was empfinden sie beim Anblick dieser Bilder? Sind Sie der Ansicht, dass sie eine Beleidigung darstellen und geeignet sind, schwere Rechtsverstöße zu provozieren?«
  Ich würde, ehrlich gesagt, eine solche Frage für viel besser geeignet halten, die Verträglichkeit des Bewerbers mit unserer Kultur zu beurteilen, als manch anderes, was mir über diesen Fragebogen zu Ohren gekommen ist.

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