Montag, 13. Februar 2006

Wintergames

Eigentlich bin ich ja kein großer Sportgucker – am Fernseher zuschauen, wie andere Leute sich bewegen, dass fand ich eigentlich stets recht widersinnig. Auch die derzeitigen olympischen Winterspiele ändern daran nichts. Gestern allerdings, beim Kaffeetrinken mit den Schwiegereltern, lief der Fernseher, und da habe ich auch mal ein wenig mitbekommen.
  Das allerdings betraf weniger sportliche Leistungen. Thema des Tages schienen Entscheidungen ganz anderer Art zu sein: Eine Sportlerin wurde gesperrt, weil irgendwelche Blutwerte über irgendeinem Grenzwert lagen. Es ging nicht um Doping, wohlgemerkt – anscheinend räumte jeder ein, dass der Körper dieser Sportlerin nun mal so tickt und Werte in diesem Bereich für sie normal sind. Aber weil es nun mal einen Grenzwert gibt, und weil solche Werte bei normalen Menschen Anzeichen für eine Krankheit sein können, wurde sie vorsichtshalber nicht für die Wettkämpfe zugelassen.
  Ein weiterer Fall war ein Skispringer, der nicht antreten durfte, weil sein Körpergewicht um 200g zu gering war. Hätte er vor dem Wiegen noch ein Glas Wasser getrunken, hätte er starten dürfen; weil er aber kein Glas Wasser getrunken hat, durften andere den Medaillen nachspringen. Hm, lassen sich da vielleicht interessante neue Sportarten für die Sommer-Olympiade ableiten: Prinzipienreiterei, Zahlenakrobatik, juristischer Hürdenlauf ...?


Wintergames – so hieß während meiner Jugend ein beliebtes Computerspiel. Irgendwie habe ich die Spiele dort als ehrlicheren Wettkampf empfunden. Aber das lag vielleicht auch nur daran, dass die Programmierer dort zumindest darauf geachtet haben, dass man am Bildschirm nichts von dem Rechenwerk im Hintergrund mitbekommen hat.
  Dieser Vergleich allerdings hat mich auf einen Gedanken gebracht: Wenn die Teilnahme an den Wettkämpfen heutzutage ohnehin nicht mehr von sportlichen Leistungen abhängt, nicht einmal mehr davon, was irgendwelche Sportler getan haben, sondern nur noch vom blinden Abarbeiten irgendwelcher Zahlen – dann wird das Spektakel doch vollends absurd. Wenn Berechnungen und Analysen oder der Rechtsweg über die Medaillen entscheiden, warum treibt man überhaupt noch so viel Aufwand mit dem Sport? Angesichts der von mir gestern beobachteten Vorgänge würde ich dafür plädieren, olympische Spiele künftig zu streichen und die Medaillengewinner gleich am Computer berechnen zu lassen.
  Das hätte auch den Vorteil, dass man in Zukunft ganz auf die unberechenbaren Sportler verzichten könnte – ich hatte ohnehin schon länger das Gefühl, dass die im geordneten Betrieb der Funktionärskader nur noch als Störfaktor wahrgenommen werden.


So jedenfalls kam allenfalls ein wenig Wrestling-Atmosphäre auf: Ein inszeniertes Schauspiel, wo der sportliche Wettkampf nur noch die Spitze auf einem Eisberg administrativer und sportfremder Entscheidungsprozesse ist. Ich glaube, ich kann darauf auch weiterhin verzichten.

Sonntag, 12. Februar 2006

Die Wahrheit über Mohammed

Endlich weiß ich die Wahrheit über Mohammed – oder, besser gesagt: Endlich habe ich auch mal die umstrittenen 12 Karikaturen über Mohammed gesehen, die derzeit die Welt bewegen, und konnte mir selbst ein Bild über den Anlass des Konflikts machen. Und ich muss sagen, der Anblick war ebenso erhellend wie überraschend.
  Die Karikaturen wirkten größtenteils eher harmlos. Auf manch einem Bild sah man kaum mehr als einen bärtigen Mann mit Turban in neutraler Umgebung, manchmal bot das Bild Raum für alberne, aber eher müde Scherze, die ich nach menschlichem Ermessen jedenfalls nicht als »beleidigend« eingestuft hätte – zumindest nicht als beleidigend für den Islam (Mohammed beispielsweise, wie er vor einer Tafel steht, auf der in arabischer Schrift die Redakteure der Zeitung beschimpft werden, und dem Betrachter die Zunge rausstreckt).
  Zu diesen belanglosen Zeichnungen kommen auch ein paar Karikaturen mit einer politischen Aussage, die ich als »sachangemessen« bezeichnet hätte: Ein Karikaturist zeichnet Mohammed und blickt sich ängstlich um, ob ihm auch keiner zusieht – na ja, die Reaktionen auf die Bilder beweisen ja, dass der darin anklingende Vorwurf wirklichkeitsnah war. Ein Bild mit Mohammed, bei dem der Turban als Bombe gestaltet ist; und ein weiteres Bild, wo Mohammed vor den Toren des Paradieses Selbstmordattentäter abweist: »Stopp! Uns sind die Jungfrauen ausgegangen.«
  Verglichen mit den terroristischen Anschlägen im Namen des Glaubens, die damit karikiert werden, muss man wohl auch diese Zeichnungen als harmlos betrachten – und wer diese Bilder mehr kritisiert als die menschenverachtenden Attentate, auf die sie sich beziehen, muss sich schon fragen lassen, ob seine Religion für angemessene und menschliches Miteinander befördernde Werte steht. Und, ach ja, dann gibt es noch eine regelrecht originelle, hintergründige Karikatur – zwei Frauen in Burka und davor ein »Mohammed« mit einem schwarzen Balken vor den Augen, der genau den Aussparungen in den schwarzen Gewändern der Frauen entspricht.
  Die ganze Provokation bei diesen Bildern liegt wohl kaum in den Zeichnungen, sondern eher darin, dass über all den Bildern explizit »Mohammed« steht – sonst wüsste man kaum, wer überhaupt gemeint ist. Wie also konnten diese so einen Aufruhr auslösen? Immerhin erwartet man ja von den Christen hierzulande, dass sie tagtäglich weit boshaftere Darstellungen ihrer Religion dulden müssen.
  Ich kann es mir so recht nicht erklären. Vielleicht ist es eine Prinzipienfrage, weil man angeblich im Islam Mohammed ja gar nicht darstellen darf – aber andererseits wurden die Bilder von Nicht-Mohammedanern gefertigt, und man kann kaum erwarten, dass die sich an das islamische Bilderverbot halten. Immerhin erwartet man von »Ungläubigen« ja auch nicht dass sie penibel die Gesetze des Propheten einhalten. Auch dass Mohammed mitunter grimmig und in Waffen dargestellt wird, kann man wohl kaum als Beleidigung ansehen. Immerhin gibt es genug Menschen islamischen Glaubens, die selbst voll stolz ihre Waffen tragen und das durchaus als ihrem Glauben konform ansehen.
  Und – mehr ist dort nicht zu finden. Man kann sich über die politische Aussage mancher Karikatur stören; man kann den Bildern vorwerfen, dass sie den Islam mit Stereotypen in Verbindung bringen, oder die Taten weniger in den Vordergrund stellen ... Aber eine Beleidigung des Glaubens oder gar eine Verhöhnung des Propheten kann ich nirgendwo erkennen. Insgesamt würde ich den Tenor eher als bieder erachten – ich habe bereits weit drastischere Karikaturen gesehen, auch über den Islam, die keinerlei Reaktionen nach sich zogen.
  Ich habe im Verlauf der ganzen Diskussion auch gelesen, dass die islamischen Aktivisten aus Dänemark, die die Bilder in der arabischen Welt bekannt gemacht haben, drei eigene und weit drastischere Karikaturen beigelegt haben. Fälschungen also, die tatsächlich geeignet sind, Emotionen zu schüren und beleidigend zu wirken. Das wäre eine Erklärung – wenn es nicht nur ein Gerücht ist. Aber ansonsten fehlt mir nach dem Anblick der Ursache doch jedes Verständnis für den Streit.

Ich würde also jedem empfehlen, der eine Meinung zu den Karikaturen hat, sich die Bilder wirklich mal anzusehen – ob er nun als Mensch mohammedanischen Glaubens gegen die Karikaturen protestiert, ob er als friedlicher Europäer den Redakteuren »Verantwortungslosigkeit« vorwerfen möchte oder ob er das ganze als »Grundsatzfrage der Meinungsfreiheit« hochstilisieren will. Meine Ansicht zu dem Thema hat sich jedenfalls deutlich gewandelt, nachdem ich mich so gründlich informieren konnte. Und ich fühle mich nun von gewissen Formen des Protestes mindestens ebenso angegriffen wie die protestierenden Moslems von den Karikaturen.
  Karikaturen an sich sind sicher ein Grundpfeiler der Meinungsfreiheit. Die Schutzwürdigkeit religiöser Überzeugungen sind allerdings auch ein Wert. Seitdem ich jedoch weiß, um wie viel die Karikaturen noch unter dem »Mainstream« politischer Satire bleiben, seitdem bin ich auch davon überzeugt, dass man den Protesten nicht nachgeben darf – und zwar nicht nur aus Prinzip, sondern ganz konkret dem Anlass entsprechend. Und ich kann jetzt voll verstehen, warum die Dänen eine Entschuldigung vermieden haben, und empfinde Hochachtung vor ihrer Haltung.
  Einen Staat, in dem politische Satire auf der harmlosen Ebene, auf der sich die Karikaturen bewegen, verboten wäre, würde ich nicht mehr als westliche Demokratie nach meinem Verständnis ansehen. Wer solche Bilder verbieten will, der würde auch noch ganz andere Werte unserer Kultur abschaffen – und kann daher nicht Maßstab unseres Handelns sein. Und sollte es auch nicht werden. Die Karikaturen sind in ihrer konkreten Ausprägung nicht einmal in der Nähe dessen, was ich als »umstrittene Zone« beleidigender Satire ansehen würde.
  Statt einer Entschuldigung an oder Kompromissen mit Gewalttätern wäre es vielleicht eher angemessen, die betreffenden Karikaturen als Bestandteil in die gleichfalls umstrittenen »Einbürgerungsfragebögen« aufzunehmen, die in manchen Bundesländern für moslemische Bewerber um die deutsche Staatsbürgerschaft ausgegeben werden; verbunden mit einer Frage wie »Was empfinden sie beim Anblick dieser Bilder? Sind Sie der Ansicht, dass sie eine Beleidigung darstellen und geeignet sind, schwere Rechtsverstöße zu provozieren?«
  Ich würde, ehrlich gesagt, eine solche Frage für viel besser geeignet halten, die Verträglichkeit des Bewerbers mit unserer Kultur zu beurteilen, als manch anderes, was mir über diesen Fragebogen zu Ohren gekommen ist.

Samstag, 11. Februar 2006

Wirtschaftsjournalist oder Milchmädchen?

Heute widme ich mich mal wieder der kritischen Betrachtung meiner Tageszeitung. Das hatte ich schon lang nicht mehr ... nicht, dass es keinen Anlass gegeben hätte ;-) Aber keinen, der es geschafft hätte, mich gegen meinen Zeitmangel zum Schreiben zu bewegen. Heute kam es mir aber doch zu dumm.
  »Wer netto etwa 150.000 Euro Abfindung erhalten hat«, so stand im Kölner Stadt-Anzeiger zu der 200.000-Euro-Abfindung der Telekom zu lesen, »kann bei einer Entnahme von 1.500 Euro pro Monat etwa 100 Monate ... lang leben.« Und weiter wird das Horrorszenario gesponnen: »Ist der ausscheidende Telekom-Mitarbeiter 52 Jahre alt, kommt er ... aus, bis er 60 oder 61 Jahre alt ist.«
  Moment – hallo? Wo bewahrt denn dieser Telekom-Mitarbeiter sein Geld während der 8 Jahre auf? Im Sparstrumpf unter dem Bett? Da würde ich doch sagen, wenn einer so viel wirtschaftlichen Unverstand beweist, tut die Telekom gut daran, diesen bildungsunfähigen Mitarbeiter so rasch wie möglich loszuwerden.
  Aber gemach, gemach – ich glaube nicht, dass der ausscheidende Mitarbeiter, der seine Abfindung kassiert, wirklich so dumm ist, wie ihn der Autor des Artikels hier rechnen möchte. Denn natürlich kann man mit so einer Abfindung auch was Sinnvolles anfangen.
  Was ich so an Geld angelegt habe, hat im letzten Jahr eine Rendite von ca. 40% erwirtschaftet. Ein solcher Ertrag war im vorangegangenen Jahr nicht schwer zu erzielen – man musste schon eher mit seinem Anlagevermögen vor den Kurssteigerungen fortlaufen, um ihn zu vermeiden ;-) Bei einer solchen Rendite würde eine »Netto-Abfindung« von 150.000 Euro sogar bis zum Sankt-Nimmerleinstag eine auskömmliche Rente versprechen.
  Aber natürlich liegt der real zu erwartende Ertrag irgendwo zwischen diesen beiden Extremen – also zwischen der sehr positiven Entwicklung des Kapitalmarktes im letzten Jahr und der Grundschul-Mathematik des Zeitungsartikels. Ich würde mal sagen, eine langfristige Rendite von ca. 7% wäre realistisch zu erzielen. Wenn also der ehemalige Mitarbeiter seine 150.000 Euro derart auf breit gestreuter und auf Sicherheit bedachter Basis anlegt, kann er bei monatlicher Entnahme von 1.500 Euro durchaus annähernd die Zeitspanne zwischen dem 52. und dem 65. Lebensjahr überbrücken. Wenn man davon noch ein (vielleicht verkürztes) Jahr Arbeitslosengeld abrechnet, dann sollte sich die Abfindung sogar ganz gut bis zur Rente strecken lassen. Bei konservativem Anlageverhalten und vernünftiger Berechnung, wohlgemerkt.
  Warum also stellt der Autor des Zeitungsartikels so eine buchstäbliche Milchmädchenrechnung auf? Wahrscheinlich um der Dramatik willen, und damit er später im Artikel die furchtbarsten Folgen an die Wand malen kann. Leider wird es ein Horrorszenario auf dem Niveau eines C-Picture-Horrorfilmes: Man hat ständig das Gefühl, all das Grauen käme nur deshalb zustande, weil sich die skizzierten Akteure so unsäglich blöd verhalten. Im Horrofilm laufen sie alle einzeln in den Wald und dem Monster so lange hinterher, bis sie schließlich gefressen werden. Im Zeitungsartikel sieht der abgefundene Mitarbeiter nur tatenlos seinem Geld hinterher und merkt nach 10 Jahren schließlich: »Upps, alles weg.«
  Das Mitgefühl für die Betroffenen hält sich in beiden Fällen in Grenzen; und rechte Spannung will sich auch nicht einstellen. Und auch wenn ich in letzter Zeit oft genug ein Abdriften der Zeitung mit dem wirtschaftsliberalen Zeitgeist beklagt habe – das heißt keinesfalls, dass ich lieber plumpe, linkskonservative Dummrechnerei auf dem Niveau von Gewerkschaftsfunktionären der letzten Generation lesen möchte! In meiner Zeitung will ich keinen C-Niveau-Grusel, sondern an der Wirklichkeit orientierte Information.


So bleibt der Informationswert des Artikels also noch unter dem Niveau dessen, was ich schon vorher als Allgemeinbildung bezeichnet hätte. Viele interessante Informationen, die mich noch interessiert hätten, fehlten allerdings. So weist der Autor darauf hin, dass bei einer Abfindung von 200.000 Euro ca. 50.000 Euro Steuern fällig wären – da wäre es doch nett gewesen, Alternativen zu diskutieren; ob sich beispielsweise über eine Stiftung oder Verrentung der Beträge ein für den Arbeitnehmer günstigeres Ergebnis erzielen ließe?
  Und bei der Diskussion möglichst unrealistischer Gruselszenarien fiel ganz unter den Tisch, welche realen Gefahren vielleicht auf denjenigen warten, der die Abfindung akzeptiert. Alles, was in dem Artikel genannt wurde, war die Krankenversicherung. Gut. Und wir wissen jetzt, was für Gefahren den 52 jährigen Arbeitslosen erwarten, wenn er sich fahrlässig dumm verhält und in Frührente gehen muss. Aber was erwartet ihn beispielsweise, wenn er sich vernünftig verhält und mit 65 in Rente gehen kann – dann aber davor ca. 15 Jahre nicht mehr gearbeitet hat und dementsprechend auch diese Versicherungszeiten wegfallen?
  Der Schreiber des Artikels schafft es also weder, mir als informiertem Leser etwas Interessantes Neues zu verraten, noch schafft er es auch nur, den schlechter informierten Leser auf einen zeitgemäßen Wissensstand zu diesem aktuellen Thema zu bringen. Stattdessen liefert er dramatische Horrorstories und Milchmädchenrechnungen, die nur mit Spuren von wirtschaftlicher Fachkunde angereichert werden. Aber konkrete Recherche und sachgerecht berechnete Szenarien hätten vermutlich Zeit und Geld gekostet.


Zwei Dinge übrigens, die ich als Leser in die Zeitung investiere und darin auch wiederfinden möchte.