Samstag, 31. Dezember 2005

Gott lebt ...

Das ganze fing irgendwann in den frühen 90ern an; ich habe die Schlagzeilen in der Zeitung wahrgenommen, aber mir noch nicht viel dabei gedacht – vor allem habe ich damals, bei diesem ersten Vorkommen, keinen Trend herausgelesen.
  Wenn ich mich recht entsinne, spielte sich dieser erste Vorfall im Iran ab: Es gab dort eine Untersuchung der staatlichen Fluggesellschaft, die erhebliche technische Mängel und Sicherheitsrisiken zutage förderte. Keine Ahnung, warum das überhaupt in einer deutschen Zeitung stand – vermutlich als Information für Touristen, die mit eben dieser Linie im nahen Osten unterwegs sein wollten. Ein unscheinbarer Artikel, der auch ein ebenso unscheinbares Zitat des zuständigen iranischen Ministers enthielt: Dieser verwehrte sich gegen die Unterstellung von Sicherheitsmängeln und betonte, dass die Flugzeuge seines Landes absolut sicher sind.
  Etwa eine Woche später stürzte er mit eben einer dieser Maschinen ab.
  Als ich diese zweite Nachricht in der Zeitung las, empfand ich das Zusammentreffen schon als merkwürdig. Ich erinnere mich, dass ich damals schon dachte: »Gott lebt.«
  Und dass es ja eigentlich nicht verkehrt ist, wenn Politiker damit rechnen müssen, dass leichtfertige öffentliche Aussagen auf solche Weise sogleich wie durch höhere Gewalt kommentiert werden.


Zunächst einmal ein Einzelfall. Aber die Einzelfälle dieser Art häuften sich. Wie beispielsweise jener südamerikanische Minister, der auf dem Höhepunkt eines Fischskandals öffentlichkeitswirksam mitsamt seinem Sohn vor laufenden Kameras frisch gefangenen Fisch verspeiste und allen seinen Wählern demonstrierte: »Unser Fisch ist sicher.« Und ein paar Tage später konnte man lesen, dass dieser Minister mitsamt seinem Sohn wegen genau der Parasitenkrankheit, um die es bei dem Skandal ging, ins Krankenhaus eingeliefert worden war.
  Wie gesagt, es ist nicht so, dass ich solche Berichte besonders verfolgt hätte, mir notiert; am Anfang habe ich tatsächlich nicht mehr darin gesehen als skurrile Einzelfälle – und ich weiß auch nicht mehr genau, was tatsächlich der erste Vorfall dieser Art war, den ich mitbekommen habe. Aber seit den 90er habe ich doch oft genug von solchen Dingen gelesen, dass sich bei mir das Gefühl einer gewissen Regelmäßigkeit einstellen konnte. Es schien fast so, als wäre Gott wahrhaft aufgewacht und hätte ein gesteigertes Interesse entwickelt, politische Beschwichtigungen und Dummgelabere sogleich tatkräftig zu kommentieren.
  Und jetzt lese ich von der Entführung des ehemaligen Diplomaten Jürgen Chrobog im Jemen: Ein bedauernswerter Zwischenfall, und Chrobog hat unzweifelhaft jeden Anspruch auf Hilfe seitens des deutschen Staates – aber man fragt sich schon, ob es wirklich nur ein Zufall ist, dass hier ausgerechnet ein Mann entführt wurde, der sich während des Falles Osthoff sehr weit aus dem Fenster gelehnt und schwere pauschale Vorwürfe gegen Entführungsopfer im Ausland geäußert hatte?
  Nun, vermutlich ist das alles nur ein Zufall. Man muss ja bedenken, dass auf solche sonderbaren Begebenheiten Tausende von Politikerworten und Taten kommen, die keine entsprechenden Folgen nach sich ziehen. Das fällt niemandem auf – im Gegensatz zu den fünf, sechs »passenden« Schicksalswendungen, die sich dann doch im Verlauf eines Jahres ergeben.
  Trotzdem: Ich finde es schon seltsam, dass ich jetzt regelmäßig solche Begebenheiten in der Zeitung protokolliert finde, während ich mich aus früherer Zeit nicht an einen einzigen solchen Vorfall erinnern kann. Lebt Gott tatsächlich und bestraft kleine (und weniger kleine) und öffentliche Sünden gleich ebenso spektakulär? Leben wir alle in einer Matrix und haben jetzt einen neuen User bekommen, der Gefallen an solchen bemerkenswerten Zufällen findet?


Woran auch immer es liegt - achten Sie mal darauf! Bestimmt werden auch Sie regelmäßig solche Vorfälle finden ...
  Und achten sie auch darauf, was sie sagen und wofür Sie öffentlich und in den Zeitungen eintreten. Denn vielleicht lebt Gott ja tatsächlich und inszeniert mitunter mal pressewirksam Beispiele seiner höheren Gerechtigkeit – und zwar vor allem dann, wenn jemand, der selbst durch ein öffentliches Amt Verantwortung übernimmt und dafür von der Gemeinschaft selbstverständliche Privilegien und Vergütungen in Anspruch nimmt, andererseits durch leichtfertige Beschwichtigungen seine Mitmenschen in Gefahr bringt oder kaltschnäuzig und ohne menschliches Mitgefühl die Leistungen der Gemeinschaft, von der er zehrt, zugleich für andere Mitglieder derselben in Frage stellt.

Samstag, 24. Dezember 2005

Eine Weihnachtsgeschichte

Weihnachten ist das Fest der Geschenke – und somit auch das der Spenden. So denken es sich zumindest die verschiedenen wohltätigen Organisationen, die in der Vorweihnachtszeit besonders gerne um Zuwendungen bitten.
  Folgerichtig hatte ich vor einiger Zeit auch ein Schreiben der »Fernsehlotterie« eines bekannten Senders im Briefkasten, mit der Möglichkeit, ein Los zu erwerben und damit noch Gutes zu tun. Fürs Altpapier war dieses Schreiben viel zu schade – lag doch ein Rückantwortumschlag bei, mit sehr offiziell aussehendem Logo. Und ich erinnerte mich gerade noch rechtzeitig an Herrn Werner¹, einen Kollegen, der mir mal übel mitgespielt hat. Und von dem ich zufällig wusste, dass er eben dieser Fernsehlotterie regelmäßig über ein Jahreslos verbunden ist.
  Grund genug, mich in vorweihnachtliche Basteleien und Vorbereitungen zu stürzen.


Zuallererst musste ich in Hamburg ein Hotelzimmer buchen. Ach, was sag ich Zimmer – eine Suite natürlich, für vier Personen! Das Teuerste, was ich nur irgendwie über Internet und E-Mail auf den Namen »Werner« vorbuchen konnte. Für Herrn Werner und Frau und zwei Kinder natürlich, und zwar an Heiligabend.
  Jetzt musste ich die Familie Werner nur noch dazu bewegen, auf Weihnachten nach Hamburg zu fahren. Dazu verfasste ich im Namen der Lotteriegesellschaft einen netten Brief, in dem ich Herrn Werner wissen ließ, dass sein Jahreslos bei der großen Sonderziehung zum Jahresende gewonnen hatte und seinem Besitzer einen erklecklichen Preis bescheren würde. Natürlich, passenderweise, an Heiligabend – dort nämlich sollte eine große Gala fürs Fernsehen aufgezeichnet werden, während derer man auch Herrn Werner und seiner Familie den Preis verleihen und das Ereignis gebührend feiern werde.
  Die Adresse für die Gala hatte ich zuvor sorgsam herausgesucht. Wollte ich doch eine Umgebung, die gegen 21.00 Uhr Abends am 24. einen angemessen düsteren, einsamen und ein wenig verrufenen Eindruck macht. So gut man es aus der Ferne halt bestimmen kann, bat ich Herrn Werner (natürlich in dem Schreiben und im Namen der Lotterieverantwortlichen), sich am Heiligen Abend zur angegebenen Zeit in dem Fernsehstudio einzufinden, das eigens für diesen Anlass und an diesem Abend in einer großen, stimmungsvollen Lagerhalle in der Hafenstraße 16 eingerichtet worden war. Ich empfahl zu Anreise ein Taxi (weil es sonst in dieser gottverlassenen Gegend nichts gibt, nicht einmal Parkplätze – aber das drückte ich natürlich ein weniger feiertäglich aufbereitet aus).
  Ferner wies ich in dem Brief darauf hin, dass im Hotel Adler schon eine Suite für Herrn Werner und seine Familie gebucht sei (bezahlt? Ich schrieb doch nichts von bezahlt!); und ich wünschte ihm ein frohes Weihnachtsfest in Hamburg. Dann packte ich das Schreiben in den Rückantwortumschlag, den mir die Lotterie so freundlich hatte zukommen lassen, druckte Herrn Werners Anschrift auf einen Aufkleber und überklebte damit die vorgedruckte Rückantwortadresse.
  Und, ich muss mich selbst loben, es sah doch wunderschön so aus wie eine offizielle Gewinnmitteilung dieser bekannten und hoch seriösen Fernsehlotterie. Wer kann sich vorstellen, dass Herr Werner einem solchen Weihnachtsgeschenk, einem fetten Gewinn und dem Auftritt in einer glamourösen Fernsehgala widerstehen kann?
  Ich jedenfalls nicht. Nicht bei Herrn Werner.


Nun ja, die Weihnachtsvorbereitungen sind vorbei, der Brief hat schon lange den Weg zum Empfänger gefunden, und es ist an der Zeit, das Fest zu genießen. Womöglich ist die Familie Werner ja schon in Hamburg angekommen und hat die auf ihren Namen reservierte Suite bezogen? Ich hoffe, es gab dabei keine unerwarteten Enthüllungen – denn immerhin möchte ich ja, dass mein lieber, werter Kollege heute Abend noch mit dem Taxi zur Hafenstraße fährt, zwischen düsteren Lagerhallen und in finsteren Hinterhöfen nach dem Eingang zum Studio sucht und alles in allem eine schöne, stille Weihnacht erlebt. Ja, ein wenig Schnee wäre auch angebracht – was gibt es schöneres als eine strahlend weiße Weihnacht für die ganze Familie im Hamburger Hafen? Vor allem dann, wenn man zu einer Gala gekleidet darin herumtollen kann.
  Ich wünsche der Familie Werner jedenfalls eine fröhliche Weihnacht. Und schon ein wenig österliche Stimmung bei der Suche nach einem Telefon, um ein Taxi für den Rückweg zum Hotel zu bestellen – denn natürlich habe ich in dem Schreiben auch darum gebeten, keine Handys zur Gala-Aufzeichnung mitzubringen. Man weiß ja, was Handystrahlung mit empfindlicher Technik anstellen kann, und Herr Werner will sich doch gewiss nicht diesen schönen und einzigartigen Weihnachtsabend durch vermeidbare Störungen verderben?


Weihnachten ist ja auch das Fest des Friedens und der Liebe. Diese Stimmung lässt auch mich nicht unberührt. Angesichts der stillen, besinnlichen Heiterkeit, wie sie mir der Gedanke an Familie Werner heute Abend beschert, ist es wohl an der Zeit, Frieden zu schließen und meinen Groll gegen den lieben Kollegen zu begraben. Was mal wieder beweist: Wenn man Streit hat, sollte man sich nicht grummelnd vergraben, sondern lieber Kontakt suchen und dem Kontrahenten einfach mal einen Brief schreiben.
  Vielleicht kennen Sie ja auch jemandem, dem Sie irgendwann zu Weihnachten einfach mal eine Überraschung bereiten können?



    ¹Alle Namen, Adressen etc. sind selbstverständlich geändert, um sicherzustellen, dass der Familie Werner auch die Weihnachtsüberraschung nicht verdorben wird.

    Montag, 5. Dezember 2005

    Wo die Ärzte sparen können

    Ganz Deutschland soll den Gürtel enger schnallen, vor allem die Kranken sollen sich auf Einschränkungen gefasst machen – und die Ärzte gehen auf die Straßen und wollen mehr Geld. Passt das den zusammen? Durchaus. Denn die Ärzte beklagen sich darüber, dass sie wegen gedeckelter Budgets geraume Zeit unentgeltlich arbeiten müssen. Und das kann man von niemandem verlangen.
      Aber: NICHT jede Arbeit ist ihres Lohnes wert! Wenn beispielsweise ein Klempner zu Ihnen nach Hause kommt und dort ein Rohr kaputthaut, würden Sie ihm dann die Arbeitsstunden bezahlen, die er braucht, um das Rohr wieder zu reparieren? Sicher nicht. Bevor man also für eine Arbeit Geld verlangen kann, muss man erst mal sicherstellen, dass die Arbeit für den Kunden sinnvoll ist und nicht etwa gar selbst provoziert wurde.
      Es lohnt sich also, auch bei den Ärzten diese Frage einmal zu stellen – und nicht voreilig ihren Protest als unverschämt abzutun oder ihn zu unterstützen. Leisten die Ärzte also Mehrarbeit, die sich nicht selbst verursacht haben, und haben sie selbst alles getan, um diese Mehrarbeit in Grenzen zu halten?


    Bei Krankenhausärzten liegt die Sache einfach: Sie kriegen Dienstpläne vorgesetzt und haben wenig Möglichkeiten, auf ihre Arbeitszeiten Einfluss zu nehmen. Und wenn einer daherkommt und anderen vorschreibt, wie lange sie zu arbeiten haben, dann muss er auch bereit sein, diese Arbeit zu bezahlen. Punkt. Die Klinikärzte beschweren sich also gewiss zu Recht. Und dafür spricht auch, dass die Bezahlung deutscher Krankenhausärzte im internationalen Vergleich tatsächlich magerer ausfällt, als es für ein reiches Land wie Deutschland angemessen wäre.


    Bei niedergelassenen Ärzten wundert einen der Protest schon eher: Sie zählen doch zu den freien Berufen und sind dementsprechend in der Lage, ihre Arbeitszeiten frei einzuteilen. Wer also zwingt sie, unbezahlt zu arbeiten? »Wir können ja nicht einfach die Praxis dichtmachen und die Kranken draußen stehen lassen!«, wenden die Ärzte ein.
      Nun, wer schon mal versucht hat, an einem Mittwochnachmittag zum Arzt zu gehen, wird diesen Einwand vielleicht nicht ganz schlüssig finden. Aber es stimmt schon: Es gibt einen sozialen Druck und sicher auch ein gewisses Verantwortungsgefühl, dass die Ärzte daran hindert, im Dezember einfach die Praxis dichtzumachen, wenn das Budget erschöpft ist. Und das ist auch gut so.
      Aber wäre das wirklich die einzige Wahl, die den Ärzten bleibt; das Einzige, was sie außer Protesten tun können, um eine gerechte Bezahlung zu erzielen? Nun, unsere Kanzlerin hat gesagt, Deutschland solle mehr Freiheit wagen und die Eigenverantwortung stärken. Und da fällt mir einiges ein, was die freien und selbstständigen Ärzte vielleicht selbst tun können, um Arbeitszeit und Bezahlung in Einklang zu bringen. Ob sie das auch getan haben – das frage ich im ausführlichen Artikel:


    <Bezahlt werden wollen wie ein Manager und arbeiten wie ein Beamter – drei Hinterfragungen zur Geschäftsstruktur im Praxiswesen.

    Donnerstag, 1. Dezember 2005

    Bildungshunger bei den Kleinsten

    Heute morgen hatte ich eine Springspinne auf dem Frühstückstisch. Und zwar schon zum zweiten Mal in drei Tagen. Spinnen auf dem Tisch finde ich nicht so glücklich, weil sie da sehr schlecht zu sehen sind. Man muss nur mal seine Kaffeetasse abstellen, oder auch nur den Arm ablegen, und schwupp – hat man sie zerdrückt.
      Da es ja, wie jeder weiß, Unglück bringt, wenn man eine Spinne tötet, fängt der Tag also schon mit Stress an, wenn man einen Achtbeiner in so gefährlicher Lage entdeckt.


    In beiden Fällen habe ich die Spinne auf meiner Tageszeitung entdeckt; was nicht unlogisch ist, weil sie auf dem weißen Untergrund noch am meisten auffällt. Sie einzufangen, ist nicht leicht, denn so eine Springspinne ist flink. Immer, wenn man nach ihr greifen will, verschwindet sie flott unter der nächsten Zeitungsseite.
      Vorgestern habe ich es trotzdem geschafft; gestern hat die Spinne gewonnen und war mir beim Zeitunglesen immer eine Seite voraus. So schnell ich auch hinter ihr hergeblättert habe – ich habe sie nur noch einmal zu sehen bekommen; nämlich auf Seite zwei, wo sie für die politischen Kommentare offenbar ein wenig länger brauchte.
      Immerhin habe ich sie später am Tag beim Fenster wiedergesehen, also hat sie ihr Abenteuer wohl unbeschadet überstanden. Aber ich war erst mal gut beschäftigt, erst mit der Zeitung, dann damit, unter dem Geschirr zu suchen, das Weihnachtsgesteck durchzuwühlen ...


    Nun ja, vermutlich sollte ich froh sein, dass unser Haushalt eine so bildungsfreundliche Atmosphäre ausstrahlt, dass selbst die Spinnen schon zum Zeitungslesen kommen. Ich mache mir allerdings Sorgen: Unsereiner ist ja durch jahrelange Erfahrung abgebrüht, aber was ist mit so einer Spinne, die man ja wohl als Leseanfänger einstufen muss?
      Wird sie durch die zahlreichen Rechtschreibfehler und tendenziöse oder schlampig abgesicherte Kommentare nicht verdorben?
      Seitdem überlege ich mir, ob ich womöglich meiner pädagogischen Verantwortung gerecht werden und eine qualitätvollere Zeitung bestellen muss. Nur, welche? Ich habe in letzter Zeit keine Zeitung gesehen, mit der ich wirklich zufrieden wäre und die man auch Lesern an die Hand geben kann, die sie nicht kritisch hinterfragen. Vor allem die korrekte Rechtschreibung scheint etwas zu sein, was in allen Redaktionen schon vor Jahren als erstes eingespart wurde.
      Also, wer eine Zeitung kennt, die man schon den bildungshungrigen Kleinsten – also ca. 0,5 cm langen Springspinnen – an die, äh, Hand? geben kann ... der mag sie mir gerne empfehlen.

    Dienstag, 29. November 2005

    Philosophie - eine tote Wissenschaft?

    In der Philosophie muss es einen Paradigmenwechsel gegeben haben, und ich weiß nicht so recht, wann er stattgefunden hat. Doch der Reihe nach.


    Heute konnte ich in der Zeitung einen Artikel lesen, der schon irgendwie bemerkenswert ist. »Für die Hirnforscher ist der Streit entschieden«, hieß es da. »Eine Wahlfreiheit gibt es nicht.« Was wir tun und was wir denken – all das wird in unbewussten Prozessen im Gehirn schon festgelegt, und unser Ich kann dem nur hinterherhecheln, ohne es zu beeinflussen.
      Nun, diese Erkenntnis lese ich nicht zum ersten Mal. Interessant fand ich allerdings die Reaktion der Philosophen auf den Forschungsstand der Neurologie: Sie wollen an der Kölner Uni Vorträge halten, »die belegen, dass der Mensch selbstbestimmt handelt.«


    Nun, die Philosophie, an die ich mich erinnere, war im Grunde die Speerspitze der Wissenschaft. Sie nahm die Phänomene unserer Lebenswirklichkeit und dachte sie weiter, über die Grenzen hinweg, die die materielle Wirklichkeit uns setzt. Und damit konnte die Philosophie Modelle entwickeln, mit denen man in Zukunft die Wirklichkeit besser erfassen konnte – und sie konnte zugleich Modelle für das Tun liefern, die sich aus dem bloßen Sein niemals ableiten lassen.
      Und was geschieht jetzt? Die Philosophie trifft sich ganz bewusst, um den Stand der Forschung unserer materiellen Umwelt zu verleugnen, schöne Träume zu hegen und sich in trotziger wie tröstlicher Ignoranz zu üben ... so jedenfalls müsste man es verstehen, wenn alles stimmte, was in der Zeitung steht.


    Doch gemach, gemach: Vielleicht hat der Schreiber des Artikels sich nur ein wenig unklar ausgedrückt. Vielleicht ist der naturwissenschaftliche Streit noch gar nicht so entschieden, wie die Wortwahl glauben macht. Womöglich lassen die Erkenntnisse der Neurologen doch noch einen Spielraum, den die Philosophen nutzen. Und vielleicht wollen die Philosophen ja gar nicht mit einem trotzigen »Trotzdem« den Stand der Gehirnforschung leugnen, sondern tatsächlich auf dem neuesten Stand der Wissenschaft weiterdenken.
      Eigentlich würde ich einen Zeitungsartikel nicht so ernst nehmen. Aber leider passt er zu anderen Erfahrungen, so zum Beispiel zu einer philosophischen Betrachtung des freien Willens, den ich jüngst im Feuilleton der Süddeutschen lesen konnte und wo der Autor genau das getan hat, was ich angesichts des heutigen Artikels auch für die Vortragsreihe an der Kölner Uni befürchte: Er hat sich darin erschöpft, die Realität schlicht abzuleugnen. Der Trick war ganz einfach: Er hat zunächst einmal den freien Willen ganz anders definiert, als er gemeinhin verstanden wird. Und dann konnte er mühelos belegen, dass die Hirnforscher sich geirrt haben und der freie Wille doch existiert.
      Eine rhetorische Nebelbombe; Schönrednerei; ein Nicht-sein-kann, was nicht sein darf. Wenn ich eine Maus einen Löwen nenne, dann kann ich natürlich auch beweisen, dass in Deutschland noch Löwen in freier Wildbahn leben – nur über die tatsächlichen Löwen sagt das überhaupt nichts aus.


    Von einer Wissenschaft, auch von der Philosophie, erwarte ich schon, dass sie die geprüften Fakten akzeptiert. Dass sie ihr Zustandekommen hinterfragt, andere Perspektiven aufzeigt, sie relativiert, neue Modelle ersinnt, die sie in ein anderes Licht setzen – das alles ja. Aber nicht einfach ableugnet oder ignoriert, vernebelt und drumherumredet. Wunschdenken an Stelle von Stringenz setzt. Alte Bilder abstaubt und vor die Fenster hängt.
      Die Philosophie, so wie ich sie verstehe, bot immer schon antworten für die Gegenwart und die Zukunft; Antworten auf ewige Fragen des Menschen, die aber der Konfrontation mit seinen zeitlichen Erfahrungen standhalten können.
      Wenn das nicht mehr so ist, dann ist die Philosophie tatsächlich eine tote Wissenschaft.

    Samstag, 26. November 2005

    Ein kindisches Vergnügen

    Heute Abend war ich mit meiner Freundin chinesisch Essen. Donnerstag bis Samstag gibt es nämlich beim Chinesen um die Ecke ein Buffet, das sehr empfehlenswert ist. Normalerweise jedenfalls.
      Was allerdings muss ich heute auf dem Schild über einer Schüssel lesen? - “Rindfleisch Szechuan (schaf)”


    Was soll man davon halten? Gerade heutzutage, wo die Zeitungen voll sind von Fleischskandalen, schockt eine solche Auszeichnung besonders. Liegt hier etwa ein ganz neuer Skandal vor, Schaf, das dreist als Rind verkauft wird? Oder, schlimmer noch, war es gar die Gentechnik, die Rind und Schaf hier zusammengeführt hat?


    Na, egal. Geschmeckt hat es trotzdem.
      Und ich muss wohl eingestehen, dass ich ein kindliches Gemüt habe, weil ich mich den ganzen Abend über einen einfachen Rechtschreibfehler amüsieren kann. Wer an so was Freude hat, muss wohl Lektor werden ... Und, nein, ich zahle keine Vergnügungssteuer für meinen Job ;-)

    Montag, 21. November 2005

    Stoiber, mein Held...

    Nun ist es schon eine ganze Weile her, dass Stoiber in Berlin die Brocken hingeworfen hat. Zusammen mit Müntes Sturz hat er Merkel damit die erste Regierungskrise beschert, ehe ihre Regierung überhaupt die Arbeit aufgenommen hat. Auch das ist eine Leistung, die Maßstäbe setzt.
      Ich möchte hier also Stoiber mal einen etwas anderen »Nachruf« setzen, als man sonst so in der Presse zu lesen kriegt. Denn ganz ehrlich: Stoiber war für mich der einzige Lichtblick im Berliner Politzirkus. Nicht unbedingt, was das politische Format betrifft. Aber ganz gewiss vom Unterhaltungswert.
      Wenn man glauben darf, was man in den Zeitungen liest, wird man in nächster Zeit nicht mehr viel von ihm hören. Angeblich ist er zu geschwächt, um Merkel noch ins Handwerk pfuschen zu können; er muss sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern und in der Heimat erst mal wieder Boden unter den Füßen gewinnen. Er kann es sich gar nicht erlauben, wieder loszupoltern und ungeschickt aufzutreten.
      Ganz ehrlich: Das alles klingt richtig. Aber das hätte ich auch vorher schon jedesmal angenommen. Und doch hat Stoiber es schon seit dem Wahlkampf geschafft, jede Woche aufs Neue von sich reden zu machen, und jedes Mal konnte man sich an den Kopf fassen und feststellen: »Das kann der doch wohl nicht gesagt haben ... Das kann doch wohl nicht ...«
      Doch, Stoiber kann. Und wann immer ich geglaubt habe, jetzt müsse er in Zukunft vorsichtiger sein, dann wurde ich eines besseren belehrt und Stoiber stöberte den nächsten Fettnapf auf.
      Das zeugt nicht von politischem Verstand. Auch nicht, wie gesagt, von politischem Format. Aber es erzeugt jedes Mal ein ungläubiges Lachen. Und zu lachen hat man in der Politik nicht allzu viel.
      Also schaue ich von nun an erwartungsvoll nach München.


    In gewisser Hinsicht erinnert Stoiber dabei an seinen politischen Stammvater Strauß. Dessen Schwergewichtskämpfe gegen Kohl sind mir aus meiner Jugend noch gut in Erinnerung: Der bayrische Stachel im Arsch des Bundeskanzlers.
      In gleicher Weise betätigte sich Stoiber bisher als Merkels Pferdebremse. Nur mit einem Unterschied: Strauß sorgte mit seinen Vorstößen für manchen Schenkelklopfer, aber insgesamt war der Konflikt durchaus ernst. Bei Stoiber haben diese Eskapaden hingegen etwas Clowneskes an sich. Und ein Clown passt ja zumindest begrifflich in den »Politzirkus«.
      Also, vielleicht sollte ich mich schämen, so etwas lustig zu finden. Immerhin ging ja auch diesmal um ernste Dinge, um Deutschlands Zukunft gar. Es ist auch völlig unverständlich, warum Stoiber es so darauf anlegt hat, den Anekdotenschatz der Tagespolitik zu bereichern: Rein politisch-inhaltlich hatte ich von Stoiber nichts Dummes gehört; zumindest nicht, seit er selbst als Bundeskanzler kandidierte. Ich war also durchaus geneigt, ihn als Politiker ernst zu nehmen. Aber gerade weil man es nicht verstehen kann, wirkt es umso erheiternder, wenn er sich als Kabinettsclown ohne Not selbst demontiert. Oder sollte man sagen: Umso trauriger?
      Ich gebe zu: Ich lache lieber und schäme mich nicht. Dass ich Merkel im Amt des Bundeskanzlers als Zumutung empfinde, habe ich vorher schon oft genug gesagt. Wenn also demnächst eine neue Regierung auf dem Niveau der Bush-Administration tatsächlich mit dem Anschein von Ernst ihre Arbeit aufnimmt, dann kann ich nur noch trauern und mich vor der Welt schämen.
      Aber wenn durch Stoibers Possen die Berliner Politik auf der Witzseite des Lebens landet, kann ich wenigstens mitlachen und mich der Illusion hingeben, es wäre alles noch nicht so wirklich. Vielleicht kommt also schon nächste Woche wieder eine Meldung von Stoiber, irgendwas Surreales, völlig Abwegiges und Unglaubwürdiges. Und dann kann ich mich noch etwas länger der Illusion hingegeben, dass das alles nur eine schlechte Geschichte ist, eine Illusion, und nicht das jahrelange Jammertal der deutschen Alltagspolitik.
      Also: Stoiber, hilf! Kümmere dich nicht um Vernunft, Folgerichtigkeit, machtpolitische Verhältnisse. Mach irgendwas, nur damit ich auch weiterhin sagen kann: »Das kann doch alles nicht wahr sein!«


    Mehr erwartete ich im Moment gar nicht. Und billiger dürfte der Titel »Held der Politik« auf absehbare Zeit nicht von mir zu kriegen sein.

    Samstag, 12. November 2005

    Neue Einsparungen im Einzelhandel: Wir sparen uns das Verkaufen!

    Ich denke, ich habe es hier schon öfter angedeutet: Meiner Ansicht nach ist nicht die schlechte Konjunktur schuld an der Krise des Einzelhandels; es liegt auch nicht an einer Konsumverweigerung des Kunden. Vielmehr ist das Problem hausgemacht. Der Einzelhandel schaufelt sich durch seine Geschäftspolitik oder simple betriebswirtschaftliche Fehler selbst sein Grab.
      Ganz nach dem Motto: »Mein Laden könnte so schön sein, wenn nur nicht immer wieder Kunden drin rumlaufen würden.«


    Heute möchte ich diese Einschätzung mal wieder durch zwei konkrete Beobachtungen aus der Praxis untermauern. Beispiel 1: »Bitte lasst diese dekorativen Plätzchen hier liegen. Die sind nur zum Anschauen, nicht zum Kaufen!«
      Gestern beim Einkaufen sah ich nämlich in der Weihnachtsecke beim Plus ein Paket Plätzchen liegen, die recht appetitlich aussahen. Ich überlegte mir tatsächlich, eine Tüte dieser Produkte zu kaufen. Damit hatte der Händler anscheinend nicht gerechnet, denn er hatte die Preisauszeichnung vergessen.
      Ich schaute mich gründlich um. Preise auf der Ware sind ohnehin von gestern; daran habe ich mich inzwischen ja gewöhnt. Aber auch an dem Korb, in dem die Kekstüten lagen, war kein Preisschild zu erkennen. Dieser Korb war Bestandteil eines großen Ständers, und oben am Ständer waren auch jede Menge Preisschilder angebracht, für all die Waren, die im Ständer untergebracht sind. Da nun die Preise nicht unbedingt über der Ware zu finden sind, zu der sie gehören, musste ich sämtliche Preisschilder durchlesen, die dort hingen.
      Das war nicht uninteressant, denn ich konnte dabei feststellen, dass ungefähr 99 Preisschilder dabei waren, zu denen es gar keine Waren gab. Dafür fehlte das gesuchte Preisschild völlig.
      Nun hätte ich das Abenteuer noch verlängern können, indem ich einen Verkäufer suche und nachfrage. Aber irgendwie stellte ich fest, dass mir der Ärger über die vergebliche Suche auf den Magen geschlagen und der Appetit auf die Kekse ohnehin vergangen war. Also verzichtete ich auf den Kauf und sparte mir das Geld.


    Zu meinem Ärger trug auch eine weitere Beobachtung bei, die ich kurz vorher machte und die ich jetzt als Beispiel 2 vorstellen will, unter dem Titel: »Kunde, kauf was ich will – nicht was du willst.«
      Dieses Beispiel hat eine Vorgeschichte: Wir kaufen regelmäßig Dosen mit Currywurst, um daraus bei unseren Rollenspielabenden Pizza zu machen. Und, ja, ehe die Rückfragen kommen: Das schmeckt tatsächlich und ist sehr beliebt, aber das tut hier nichts zur Sache.
      Wichtig ist in erster Linie, dass diese Dosen mit Currywurst im Laden nur in Kartons mit zwei anderen Produkten angeliefert werden: Ein Drittel der Dosen im Karton sind Currywurst, ein Drittel »Currybällchen« und ein weiteres Drittel ... äh, irgendwas anderes. Jedenfalls stellte sich rasch heraus, dass nicht nur wir diese Currywurst mochten, sondern auch andere Kunden. Und so kam es, dass sich bald ein Dutzend Kartons stapelten, in denen jeweils die Currywurst ausverkauft war, während die anderen Dosen liegen blieben.
      Kaufmännisch kluges Verhalten wäre es nun gewesen, mehr von der Currywurst zu ordern und weniger von dem Rest. Der Lieferant muss sich halt der Nachfrage anpassen, oder sterben. Stattdessen versuchte der Händler, den Kunden zu erpressen und so lange keine Currywurst mehr anzubieten, bis die Kunden auch den Rest der Dosen aufgekauft hatten. Das Ergebnis war deutlich zu beobachten: Wochenlang blieben die zweidrittelvollen Kartons stehen und der Laden verkaufte von diesem Produkt überhaupt nichts mehr.
      Inzwischen allerdings wurde für das Problem eine Lösung gefunden: Die Kartons werden nun so hingestellt, dass man die Currywurstdosen als uneingeweihter Kunde nicht mehr sehen kann und auch nur noch unter Verrenkungen drankommt. Die Rechnung geht auf: Die Currywurst ist seither nicht mehr vorzeitig ausverkauft, und als gut informierter Kunde, der weiß, wo sie sich versteckt, findet man immer noch einen ausreichenden Vorrat der gesuchten Dosen.
      Ich könnte also zufrieden sein – wenn ich nicht pausenlos bei diesem Anblick den Kopf schütteln müsste über die betriebswirtschaftliche Dummheit. Die »Schnelldreher« und umsatzstarken Produkte nach hinten stellen, wo niemand sie sieht, und sie hinter den Ladenhütern verstecken! Hallo? Gibt's hier irgendwo Kaufmannsgehirne billiger?
      Jetzt verkaufen sich vielleicht alle Sorten im Karton gleich gut – aber viel eher wohl gleich schlecht. Denn die schlecht verkäuflichen Waren bestimmen nun den Gesamtumsatz, und der einstige Renner wird jetzt nur noch von denen gekauft, die wirklich danach suchen; Laufkundschaft ausgeschlossen.
      Und das eigentlich Traurige ist, dass nun womöglich die gut verkäuflichen Currywürste irgendwann aus dem Programm verschwinden werden. Denn ich fürchte, in der Buchführung werden nur die insgesamt verkauften Kartons erfasst, und die Geschäftsführung wird gar nicht mitbekommen, dass sich in diesem Sammelpaket ein Verkaufsschlager befindet, der nur vom übrigen Gebinde künstlich ausgebremst wird.
      Es wäre nicht das erste Mal, dass ein Schlüsselprodukt auf diese Weise aus dem Laden verschwindet.

    Donnerstag, 10. November 2005

    Geburtstag

    heute gibt es mal wieder eine kleine Meldung aus meinem persönlichen Leben ... Gestern hatte ich ja Geburtstag. Nach der vielen Arbeit in letzter Zeit wollte ich den wirklich entspannt verbringen. Einfach mal was ganz anderes tun; Aufregung, Abenteuer und Erholung – wie bringt man das alles in einem einzigen Ei, ich meine: an einem einzigen Tag unter?
      Mein guter Anfang: Ein Besuch beim Augenarzt. Das klingt zunächst vielleicht nicht sonderlich spektakulär. Allerdings kriegt man beim Augenarzt ja die coolen Tropfen, von denen man vielleicht nicht wirklich betrunken wird, nach denen man aber auch nicht mehr viel von seiner Umwelt mitbekommt. Oder zu viel – wenn man nämlich doppelt sieht, weil man nichts mehr richtig fixieren kann.
      Also, ein guter Start in den Tag.


    Aber nicht so gut, dass man nicht einen draufsetzen könnte. Da heißt es, Synergieeffekte nutzen: Wenn ich schon mal in der Stadt bin, und ohnehin nicht Autofahren kann, dann kann ich zumindest das Fahrrad von der Inspektion abholen.
      Die Heimfahrt war sehr erfrischend; das Wetter schön. Sonne und pupillenerweiternde Tropfen haben übrigens eine interessante Wechselwirkung, die beim Radfahren zu einem psychedelischen Flimmereffekt führt.
      Das war also schon mal Aufregung und Abenteuer, in gewisser Hinsicht aber auch Erholung – denn wenn man nichts sieht, kriegt man von der Aufregung und dem Abenteuer zugleich so wenig mit, dass man ganz entspannt bleiben kann.
      So hatte ich Mittags schon das Tagesziel erreicht und konnte mich getrost wieder ins Bett legen.


    Äh, ja, so oder so ähnlich verlief also die erste Hälfte meines Geburtstages. Mittags kam dann der gemütliche Teil: Das Auspacken der Geschenke. Darunter unter anderem der schon früher erwähnte AlphaSmart 3000, auf dem ich auch diesen Beitrag hier getippt habe; und eine Atari Flashback Konsole. Ich gebe zu, so langsam komme ich in das Alter, wo man nostalgisch wird und dumme Dinge tut, wenn sie nur irgendwie mit den 80ern zu tun haben.
      Dazu einige DVDs und Bücher; die Zeit zum Lesen wünsche ich mir dann im nächsten Jahr. Man muss ja auch noch was haben, auf das man sich freuen kann ...
      Apropos dumme Dinge: Zum familiären Kaffee habe ich mir eine Harry-Potter-Torte gegönnt. Und da sage noch einer, ich könne nicht wirklich dekadent sein. Und anschließend kam ein Kinobesuch: Wallace und Gromit auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen. Den Film kann ich sehr empfehlen; vor allem auch wegen der vielen Anspielungen und Zitate. Und die Figuren sind natürlich liebevoll gemacht. Allein dafür werde ich ihn wohl noch öfter sehen müssen.
      Zum Ausklang des Tages dann wieder ein wenig Abenteuer: Das Abendessen. Na ja, ich wurde 37, da versteht man unter Abenteuer vielleicht was anderes als mit 17 ... Mümmel, mümmel ... Nein, ich kann durchaus noch vernünftig essen, und abenteuerlich war eher die Suche nach einem geeigneten Restaurant. Die halbe Schokotorte (mit Marzipan-Potter inklusive Drache und Schriftrolle sowie Knisterbrause) lag mir noch etwas schwer im Magen, so dass Steak und Hefeteig nicht in Frage kamen. Das Restaurant erster Wahl war dann geschlossen, und schließlich landeten wir beim Chinesen. Der McDonalds-Gutschein für den doppelten BigMac muss also noch ein paar Tage in meiner Tasche ausharren.
      Komisch, irgendwie gibt es jedes Jahr eine solche Odyssee von einem geschlossen Lokal zum nächsten. Allmählich frage ich mich, ob es einen Grund hat, dass man am 9. November in Leverkusen und Umgebung kaum ein geöffnetes Restaurant findet. Oder dass zumindest die Restaurants, die ich aufsuchen will, die Türen geschlossen halten und die Lichter löschen.
      Dabei findet meine offizielle Feier doch erst am 19. statt ...


    Ach ja, das beste habe ich noch vergessen: Ich habe mir fest vorgenommen, an diesem meinen Geburtstag nicht zu arbeiten und meinen »freien Samstag« zu nehmen. Keine Übersetzung ... Das ist in letzter Zeit selten.
      Es ist auch erstaunlich, wie lang so ein Tag unter diesen Umständen sein kann. Denn trotz aller oben beschriebenen Aktivitäten hatte ich doch noch Zeit, diesen Blogeintrag zu tippen. Und den ein oder anderen weiteren Eintrag auf Vorrat oder zum Nachholen. Und Forenbeiträge. Und ... Und ... Und ...
      Zeit ist irgendwie auch ein schönes Geburtstagsgeschenk.

    Mittwoch, 9. November 2005

    Münte soll den Karren aus dem Dreck holen ... und fährt ihn vor die Wand

    Nun auch noch ein Kommentar von mir zu Münteferings Sturz; ein wenig spät, wegen akutem Zeitmangel in den letzten Wochen. Aber dafür habe ich es an anderer Stelle »schon gleich« gesagt, nämlich in meinem Blogeintrag zum 19.9. direkt nach der Wahl:
      »Schröders Sturz, der im Rahmen einer großen Koalition vermutlich unumgänglich wäre, würde zugleich auch die Teile der SPD schwächen, die einer großen Koalition am besten zuarbeiten können.«
      Nun, ich muss sagen: Der damals prognostizierte Konflikt mit den linken Strömungen in der SPD kam jetzt deutlich früher zum Tragen als ich seinerzeit erwartet hätte. Ich hätte der SPD durchaus zugetraut, zumindest die Koalitionsverhandlungen zum Abschluss zu bringen, ehe sie wieder untereinander zu streiten anfangen.


    Im Gegensatz zu »manch anderem« Kommentator bin ich allerdings nicht der Ansicht, dass Münteferings Sturz dem SPD-Präsidium anzulasten ist. Diesen Karren hat er ganz alleine und ohne Not vor die Wand gefahren.
      Jedem Beobachter der politischen Szene war klar, dass die Partei einen anderen Kandidaten wollte als Müntefering. Müntefering wollte allerdings ein Ergebnis in seinem Sinne erzwingen. Vermutlich dachte er, er könne es einfach so halten, wie Schröder es oft genug vorgemacht hat: Eine Sachfrage zu einer persönlichen Entscheidung hochstilisieren. Da Müntes Spezi Wasserhövel eine faire Wahl nicht gewinnen konnte, wollte Müntefering vorsichtshalber lieber über sich abstimmen lassen; also nicht: Wer wird Generalsekretär(in)? Sondern: Seid ihr für mich oder gegen mich?
      Was Müntefering leider übersehen hat: Er ist kein Schröder und beherrscht dieses Spiel nicht. Eine Abstimmung über die Persönlichkeit konnte er nur verlieren, denn die Sache und der Kompromiss war stets Münteferings einzige Chance; der Grund, warum er überhaupt an der Stelle stand, wo er bis zu seinem Rücktritt gestanden hat.
      Jetzt steht er nicht mehr da, und das ist irgendwie auch folgerichtig so.


    Manch einen habe ich nun darüber klagen hören, dass die SPD sich selbst zerfleischt; dass sie Müntefering in den Rücken gefallen ist, gar die Gefolgschaft verweigert hat ... Ich vermisse in der Presse die Stimmen, die Müntefering klipp und klar die Verantwortung zuweisen, die er auch trägt. Was hätte der SPD-Vorstand tun sollen? Etwa den Kandidaten absegnen, den Müntefering vorschlug, obwohl er ihnen aufgezwungen wurde?
      Moment mal! Wenn Müntefering ein Recht darauf gehabt hätte, den General seiner Partei zu bestimmen, warum darf dann der Parteivorsitzende den Generalsekretär nicht einfach ernennen? Die Regeln sind nun mal nicht so: Generalsekretär ist ein Wahlamt. Und dass der Kandidat eines Wahlamtes von oben vorgeschlagen und von den Wählern nur noch abgesegnet wird – so etwas darf es in einer Demokratie eigentlich nicht geben!
      Warum sind so viele Medien noch nicht in der angeblich so gefestigten Demokratie angekommen? Warum huldigen viele Kommentatoren der politischem Presse nicht dem demokratischem Prozedere, sondern viel lieber einer »starken Führung«? Nun, das Vokabular dabei ist schon verräterisch: »Königsmord« las ich zu Münteferings Sturz beispielsweise in meiner Tageszeitung; da schimmert doch gleich die Geisteshaltung der entsprechenden Journalisten in der Wortwahl durch.


    Und damit schließt sich der Kreis, und ich bin auch an der Stelle angekommen, wo ich das eigentliche Drama von Münteferings Sturz sehe. Für die SPD war der Vorfall gar nicht mal so schädlich: Der Konflikt, der hier aufbrach, war abzusehen und unvermeidlich – sonst hätte ich es wohl kaum schon vor zwei Monaten vorausgesehen. Dass er früher eintrat als erwartet, mag heilsam sein. Besser ein schneller, sauberer Schnitt als ein monatelang schwelender Streit, und unter Platzeck können sich die Kräfte der Nach-Schröder-Ära womöglich neu stabilisieren.
      Aber verheerend fand ich das Bild, dass die politische Presse in dieser Angelegenheit abgab. Eigentlich soll die Presse in der Demokratie ein Wächteramt innehaben. Wenn dieses Wächteramt nun aber von Persönlichkeiten mit eher monarchistischer Gesinnung wahrgenommen wird – wer bewacht dann diese Wächter?

    Montag, 31. Oktober 2005

    Der Termin, der letzte Termin und der allerletzte ...?

    In letzter Zeit war ich hier ein wenig wortkarg: Inzwischen betreue ich nämlich als Übersetzer drei Reihen mit regelmäßigen Fortsetzungen. Und wie man sich eigentlich hätte denken können, kommen jetzt die nächsten Bücher aus allen drei Reihen faktisch zeitgleich auf mich zu.
      Natürlich hätte ich einen Reihentitel abgeben können, aber wer macht das schon gerne? Zum einen hat man »seine« Reihen ja durchaus lieb gewonnen, zum anderen hat man auch schon oft gesehen, dass jeder Übersetzer so seine eigenen Vorlieben hat und das man sich vermutlich über das ärgern wird, was der Kolle mit »der eigenen« Reihe so anstellt ...
      Also heißt es Zähne zusammenbeißen, Urlaub streichen und ran an die Tastatur. Und bis nächsten März bin ich gut beschäftigt. Und der Abgabetermin für den ersten Titel war letzte Woche, weshalb es in den Tagen davor ein wenig hektisch zuging.


    Zum Glück wissen aber auch die Lektoren im Verlag, dass ich eine Menge zu tun habe. Also bekam ich, netterweise, diesmal zu den offiziellen Abgabeterminen auch inoffizielle genannt. Zumindest zu den beiden letzten Titeln. Da habe ich für die Abgabe nun ca. +/- einen Monat mehr Zeit, als offiziell im Vertrag steht.
      Aber wie das so ist: Wenn man jemandem den kleinen Finger reicht ... Also, ich habe dadurch erfahren, dass die Termine in den Verträgen durchaus einen Spielraum lassen, dass es also noch einen »Termin nach dem Termin« gibt. Und so dachte ich mir, das lässt sich vielleicht für die Planung aller drei Titel nutzen.
      Ich habe daher auch nach dem inoffiziellen Termin für den ersten Roman gefragt. Auch wenn der an sich nicht zeitkritisch war, hätte es mir eine Verschiebung doch erlaubt, die Arbeit etwas besser einzuteilen, den Rohtext erst mal liegen zu lassen, andere Projekte vorzuziehen und mit ein wenig Abstand den Text gründlicher zu überarbeiten.
      Langer Rede kurzer Sinn: Es gab einen solchen Termin tatsächlich, und so bekam ich ein wenig zusätzliche Zeit auch für das erste Buch – und das tat der Übersetzung sicher gut.


    Die »Woche nach der Buchmesse« war also schon ein Termin »nach Verlängerung«, und da war ich natürlich besonders fest entschlossen, diesen Termin zumindest eisern einzuhalten. Ich dachte mir ja nach dieser Verlängerung wunders, wie drängend dann der Drucktermin sein muss. Und Termine sind mir im Grunde ohnehin heilig: Da ich selbst auch als Lektor arbeite, weiß ich, wie es hektisch es werden kann, wenn der Übersetzer zu lange überzieht und der letzte Bearbeiter den Zeitverlust ausgleichen muss.
      Ich habe also richtig reingeklotzt, war pünktlich fertig – und plötzlich war niemand zu sehen, der die Übersetzung haben wollte. Die zuständige Bearbeiterin war noch anderweitig beschäftigt, der Lektor im Verlag sah alles ganz gelassen und freute sich auf seinen Urlaub. Und sein Vertreter leitete mir die Information weiter, dass der endgültige Termin für den Satz erst kurz vor Weihnachten liegt. Und anderthalb Monate sind tatsächlich noch eine großzügige Zeit für ein Lektorat. Es besteht also tatsächlich kein Grund zur Hektik.


    So viel also zu meinem Terminstress in den letzten Wochen. Und den ungewöhnlichen Abschluss des Ganzen, der mich mit zwei Gedanken zurücklässt:
      Zum einen, wenn der endgültige, eilige und inoffizielle Abgabetermin dem Lektor noch sieben Wochen Zeit für seine Arbeit lässt – um wie viel müssen dann die Übersetzer überzogen haben, die mir als Bearbeiter nur noch ein bis zwei Wochen Zeit übrig ließen?
      Und der zweite, wichtigere, noch näher liegende Gedanke: Nachdem ich nun erfahren habe, dass es nach dem zweiten, inoffiziellen und verlängerten Abgabetermin noch einen dritten, endgültigen und eiligen Abgabetermin gibt, da frage ich mich für meine beiden noch ausstehenden Übersetzungen doch ... Aber nein, pfui, böser Gedanke. Mit so was wollen wir hier gar nicht erst anfangen!

    Mittwoch, 26. Oktober 2005

    Sprachfehler des Tages

    Im Moment und bis zum Ende der Woche ist hier noch so viel Stress, dass ich nicht mal dazu komme, mein Blog zu pflegen. Ein paar Einträge schlummern noch auf der Festplatte, aber sie müssten noch ausformuliert und korrigiert werden - bis ich dazu komme, hier kurz als Lückenfüller ein Fundstück aus dem Beipackzettel von Vitamintabletten:

    "Verzehrempfehlung und weitere Handlinghinweise"

    Hm, was für schönes Dinglish. Warum nicht einfach "... und weitere Hinweise", oder meinetwegen auch "... und weiteres Handling"? Oder womöglich sogar eine richtig schöne Formulierung?

    Was dieses unglückliche Englisch-Deutsch-Kompositum "Handlinghinweise" so für Assoziationen weckt ... Ob der Hersteller der Vitamine seine Präparate wohl sorgfältiger zusammenmischt als die Sprache auf seinem Beipackzettel? Oder ob bei der Produktion der Tabletten aus Kostengründen auch nur dieselben ungeschickten Nichtskönner sitzen, die schon die Anleitung dahingeschludert haben? Ich seh sie förmlich vor mir, wie mit ihren plumpen Fingern und tumben Hirnen die unpassendsten Komponenten in den kleinen Pillen zusammenfummeln wollen, und, wenn grad keiner hinschaut, schon mal zur Klebertube greifen, damit auch zusammenpasst, was nicht zusammengehört ...

    Jedenfalls keine gute Werbung für ein Produkt.

    Freitag, 14. Oktober 2005

    Träume sind auch nicht mehr, was sie mal waren ...

    Letzte Nacht hatte ich einen Traum: Ich tauchte in teilweise überfluteten Gewölben und stieß dort auf einen riesigen Goldschatz. Das klingt schon wie die Träume meiner Jugend: Eine spannende Abenteuergeschichte, stimmungsvoll, ein wenig düster, bedrohlich, geheimnisvoll ... und wer sich nun fragt, was daran bedrohlich sein sollte, der hätte mal die Gewölbe sehen sollen; und »geheimnisvoll« waren die Formen des Goldes.
      Nun, sei's drum.
      Viel wichtiger war, wie der Traum dann weiterging. Er war mit dem Fund des Schatzes nämlich noch nicht vorüber, sondern fing danach erst richtig an; und diesmal ging es um ganz andere Probleme: Als ich den Schatz nämlich veräußern wollte, da stieß ich auf betrügerische Händler, die mich übers Ohr hauen wollten; das Finanzamt meldete seine Rechte an; außerdem sämtliche Grundbesitzer, unter deren Land ich den Schatz gefunden hatte, oder deren Land ich auf dem Weg dorthin berührt habe.
      Und mindestens drei Viertel des Traumes brachte ich also damit zu, gegen kaufmännische und rechtliche Fährnisse zu kämpfen – mit all den Dingen also, die in richtigen Abenteuergeschichten zu Recht nicht erwähnt werden. Dabei reichten diese drei Viertel des Traumes noch nicht mal aus, um die unausgewogene Geschichte zum Abschluss zu bringen: Als ich endlich aufwachte, waren diese Probleme immer noch nicht gelöst und ich wusste immer noch nicht, wie viel von dem Schatz mir letztlich bleibt.


    Zugegeben, Verhandlungen mit Kaufinteressenten aus aller Herren Länder können auch ganz interessant sein; ebenso wie der schwierige Umgang mit divergierenden Gutachten zum Wert des Schatzes; zum Gewicht des Goldes sowie zur historischen Einordnung. Das Studium rechtlicher Vorschriften zur Fundverteilung und zur Besteuerung ... Nur: Das war es eigentlich nicht, was der Traum am Anfang vermuten ließ.
      Und das sind auch nicht die Geschichten, die ich gemeinhin lese, schreibe – oder träumen will.


    Ich bin verunsichert. Was ist nur geschehen? Träume ich jetzt Abenteuergeschichten für Betriebswirte und Rechtsanwälte? Eine Alterserscheinung? Der Zeitgeist schlägt zurück?
      Hilfe!
      Und was am schlimmsten ist: Wie konnte ich nur ausgerechnet während der Verhandlungen mit diesen arabischen Investoren (also auch noch billige Klischees – da muss sich irgendwo auch ein Controller in den Traum geschlichen haben!) aufwachen – das waren doch bisher die vielversprechendsten Interessenten für das Gold. Und das kurz vor dem Abschluss! So ein Mist. Was mir da alles entgangen ist ...
      Tja, Träume sind halt auch nicht mehr das, was sie vor 20 Jahren noch waren ...

    Montag, 10. Oktober 2005

    Deutschland wählt: »Wir hätten gern das Drittbeste!«

    Kennt denn jeder diese merkwürdige Werbung? Man sieht verschiedene Leute bei verschiedenen Gelegenheiten, im Restaurant etc., und in allen diesen Fällen geben sie bekannt, dass sie gerne das zweitbeste hätten. Diese Werbung soll Aufmerksamkeit erregen und absurd klingen – denn entscheidet man sich nicht immer für das, was man für das beste hält?
      Keinesfalls, wie die Realität zeigt. Deutschland hat jetzt eine Regierung, und in der Kanzlerfrage hat das Land sich mit der drittbesten Möglichkeit zufrieden gegeben ...
    Diese meine Einschätzung ist keinesfalls besonders exotisch, sondern durchaus vom allgemeinen Stimmungsbild getragen. Und inzwischen sogar mit offiziellen Umfragen belegt: Letzte Woche erst stand in der Zeitung die überraschende Erkenntnis zu lesen, dass die Deutschen weder Merkel noch Schröder als Kanzler wollen!
      Hm, war diese Erkenntnis wirklich so überraschend? Dafür braucht man eigentlich keine Meinungsforschungsinstitute, weil das Stimmungsbild im persönlichen Umfeld schon eindeutig genug ist. Bis es in den Medien ankam, hat es etwas länger gedauert - Journalisten sind nun mal nicht die schnellsten, wenn es darum geht, etwas mitzubekommen. Vor allem dann nicht, wenn sie zu sehr damit beschäftigt, den Leuten etwas einreden zu wollen, was sie gerne hätten.
      Wie auch immer die Union es in den letzten Wochen schönreden wollte: Eine Kanzlerin Merkel entspricht also nicht dem Votum des Wählers. Klar: Wenn der Wähler Merkel hätte haben wollen, hätte Schwarz-Gelb eine Mehrheit bekommen. Nun wird sie aber trotzdem Kanzlerin, und das ist deshalb die drittbeste Möglichkeit, weil es eben noch zwei weitere gegeben hätte, die dem Wählerwillen mehr entgegenkommen.
      Die beste Möglichkeit wäre es gewesen (da die Wähler nun mal weder Schröder noch Merkel wollen), dass beide zurücktreten und ein neuer Kopf an die Spitze kommt. Das war es, was das Votum des Wählers nahe legte.
      Die zweitbeste Lösung wäre das »Kanzlersharing« gewesen: ein bis zwei Jahre Schröder, und dann ein Kandidat der CDU an der Spitze. Moment mal, mag da mancher fragen: Warum wäre das die zweitbeste Lösung? Das Volk will keinen, und kriegt beide? Das klingt doch eher nach der schlechtesten Lösung!
      Nun, attraktiv war Kanzlersharing vor allem deshalb, weil man dann gewusst hätte, dass Schröder nach zwei Jahren geht. Und darauf hätte hoffen können, das Merkel nicht kommt. Für die zweitbeste Lösung sprach also vor allem die Hoffnung, dass der Wählerwille sich doch durchsetzt – wenn auch mit ein wenig Verspätung.
      Die drittbeste Lösung ist nicht einfach nur eine kleine, schrittweise Verschlechterung, die achtbare dritte Stufe auf dem Siegertreppchen. Irgendwo zwischen der zweit- und der drittbesten Lösung verlief leider die Kluft der katastrophalen Wählerwillenverdrehung. Jetzt kriegt Deutschland doch einen Kanzler, den kaum einer will, und das für vier Jahre stabil ...
      Und wenn Schröder sich doch noch breitschlagen lässt und Vizekanzler wird, kriegt der Wähler gleich beide unerwünschten Kandidaten, und zwar ohne Ablauffrist.
      Nun ja, ich möchte Personalien nicht überbewerten. Wichtiger als die K-Frage sind letztlich doch die Inhalte, und da eine große Koalition sicher der beste Ansatz. Und eine Kanzlerin Merkel ist in einer großen Koalition zumindest deutlich stärker gebunden als in einer Schwarz-Gelben Regierungsmannschaft. Also, es ist an der Zeit, die Personalfragen zum Guten wie zum Schlechten hinter sich zu lassen und lieber darauf zu sehen, was die neue Regierung in der Praxis auf die Beine stellt.
      Schade nur, dass in dieser Hinsicht die neue Regierung schon mit einer Hypothek ins Rennen geht – mit einer Kanzlerin, die schon gezeigt hat, dass sie mit Inhalten und Positionen zur Sicherung ihres Pöstchens bezahlt.

    Als Fazit dieser Kanzlerwahl bleibt dann noch ein gewisser geklärter Blick auf demokratische Strukturen und die Mitbestimmung des Volkes. Es gab in der Geschichte und auch in der Gegenwart häufig die Frage, wie ein Volk bestimmte Entwicklungen nur zulassen konnte. Warum dulden afrikanische Völker korrupte Cliquen, die den Reichtum der Länder verbrennen? Warum hat der Irak sich nicht selbst von Saddam befreien können?
      Nun, diese Fragen sollte man heute besser nicht mehr stellen. Wir in Deutschland haben ein Regierungssystem, dass es den Menschen sehr viel leichter macht, Einfluss zu nehmen. Wir haben eine Demokratie, freie Wahlen, persönliche Sicherheit für politisches Engagement – und trotzdem kann das deutsche Volk nicht verhindern, dass eine Person Kanzler wird, die zwei Drittel des Volkes ablehnen.
      Was sagt das aus über politische Gestaltungsmöglichkeiten insgesamt?
      Was kann man da an politischer Selbstverantwortung anderswo erwarten?
      Diese letzte Wahl mit ihren Folgen war auf jeden Fall eine sehr plastische Demonstration der Möglichkeiten und Grenzen demokratischer Mitbestimmung, und eine alles in allem relativierende Erfahrung. Und wer auch immer in Zukunft den politikverdrossenen Nichtwählern noch erzählen will, dass sie ja mitbestimmen könnten – der wird sich einen verdammt harten Gegenbeweis um die Ohren hauen lassen müssen.
      Das mag sich mittelfristig als noch größere Belastung erweisen als die Kanzlerfrage an sich.

    Samstag, 8. Oktober 2005

    Smart!

    Nach zwei Jahren Wartezeit ist es endlich so weit – ich habe einen Alphasmart 3000 ergattert!
      Was das ist? Nun, eine Art Tastatur, die aber einen eigenen kleinen Bildschirm hat und unabhängig vom Computer für die Texterfassung benutzt werden kann. Im Gegensatz zum Laptop funktioniert das Ding mehrere hundert Stunden lang mit Batteriebetrieb; es ist auch kleiner und leichter als (mancher) Laptop und vor allem sehr viel robuster. Optimal für den Autor unterwegs.
      Und warum ich zwei Jahre darauf warten musste? Nun, der Neupreis für so ein Ding beträgt ca. 270 Euro, und das fand ich immer etwas sehr happig für ein Gerät, das letztlich doch nicht viel mehr ist als eine externe Tastatur. Denn außer Texte tippen kann man damit doch nicht viel anfangen. Ich habe viel zu tippen, aber so oft bin ich nun doch nicht in Situationen, wo mir der Alphasmart gegenüber Laptop oder Computer Vorteile bringt.


    Immerhin, vor zwei Jahren habe ich mal einen Alphie hier gehabt und auf Herz und Nieren geprüft. Und ich fand ihn auch sehr praktisch und habe mir fest vorgenommen, dass ich mir so ein Teil kaufe - sobald ich mal einen Gebrauchten für deutlich unter 100 Euro sehe. Und seitdem habe ich einen Dauersuchauftrag bei eBay laufen.
      Leider hat es zwei Jahre gedauert, bis der fündig wurde – ich war immer wieder erstaunt, wie viele Leute selbst für einen gebrauchten Alphasmart noch fast 200 Euro hinblättern. Da wollte ich nicht mehr mithalten ...
      Als ich jetzt ein Modell zum günstigen Sofortkauf sah, habe ich trotzdem nicht sofort zugeschlagen. Denn Geiz ist ja geil – und ich nutze gerne jede Gelegenheit, um diese Tugend auf die Spitze zu treiben ;-) Also habe ich zuallererst meine Freundin überzeugt, mir das Ding zum Geburtstag zu schenken. Doppelt gespart: Erst auf den günstigen Alphasmart gewartet, und ihn dann nicht mal selbst bezahlt.
      Der Nachteil: Der Alphasmart ist bestellt und geliefert, aber jetzt liegt er erst mal bei meiner Freundin. Und ich muss noch bis zu meinem Geburtstag im nächsten Monat auf die Übergabe warten.


    Na ja, macht nach den zwei Jahren auch keinen großen Unterschied mehr. Und im Augenblick habe ich sowieso keine Zeit zum Reisen und werde den Alphasmart im nächsten Monat ohnehin nicht benötigen.
      Freuen tu ich mich trotzdem schon jetzt ;-)

    Dienstag, 4. Oktober 2005

    Phishers Phritz phisht phrische Ph... äh, Passworte bei Ebay

    Phishing – so nennt man es auf Neudeutsch, wenn irgendwelche dubiosen Gestalten mit gefälschten E-Mails versuchen, wichtige Passwörter auszuspionieren. Und diese meist sehr dümmlichen Versuche sind eine wahre Plage.
      Anscheinend »phishen« diese Ganoven gerne nach Postbank-Online-Kunden, denn wir bekommen fast wöchentlich eine Mail mit diesem Topic, meist in unverständlichem Deutsch und vor Rechtschreibfehlern strotzend, und ungeachtet der Tatsache, dass wir bisher nie darauf reagiert haben und überhaupt keine Postbank-Online-Kunden sind.
      Da muss man wohl schon sehr doof sein, um diese Mails für echte Anfragen von der Postbank zu halten und sein Passwort oder gar seine PIN zu verraten.


    Vor ungefähr zwei Wochen allerdings bekamen wir eine Mail von einem ganz anderen, scheinbaren, Absender: Ebay forderte meine Freundin auf, sofort ihre Benutzerdaten neu einzutragen, weil andernfalls ihr Account gelöscht wird.
      Diese Mail hatte durchaus ein gewisses Ebay-Look-and-Feel: Das Logo war da, das Englisch recht verständlich ... Moment! Englisch? Tatsachlich war der angebliche Absender nicht »ebay.de«, sondern »ebay.com«, und mit denen haben wir eigentlich wenig zu tun. Das stimmt misstrauisch. Auf den zweiten Blick stellte sich dann noch heraus, dass der in der Mail angegebene Link nicht auf die dort zu lesende Ebay-Adresse führte, sondern zu einer ganz anderen IP. Also, offensichtlich ein Phishing-Versuch.
      Aber eine gut gemachte Fälschung – da haben wir uns schon gefragt, ob nicht der ein oder andere unaufmerksame Empfänger seine Ebay-Daten preisgegeben hat. Nun ja, ansonsten landete die Mail im Spam-Mülleimer und war erst mal vergessen. Bis letzte Woche. Da gingen nämlich die Gerüchte durch die Medien, dass angebliche »Hacker« mit den Passworten unschuldiger Ebay-Kunden »Scherzeinkäufe« getätigt haben. Ein Rentner wurde als Opfer genannt, und ein Mann aus Bergisch Gladbach mit fast 600.000 Euro virtuellem Schaden.
      Da erinnerten wir uns gleich wieder an den Phishing-Versuch, und beim Gespräch im Freundeskreis stellten wir fest, dass wir nicht die einzigen Empfänger waren: Offenbar war zwei Wochen zuvor eine kleinere Lawine gefälschter Ebay-Mails über ahnungslosen Kunden niedergegangen. Von der Zeit her passt das recht gut zu den Betrugsfällen – seltsam nur, dass Ebay laut Zeitung immer noch rätselt, wie die »Hacker« an die Passworte gekommen sein können.
      Nun, vielleicht lesen sie hier ja mit und lassen sich etwas auf die Sprünge helfen ... Ach nein, ich sehe gerade: Inzwischen finden sich auf Ebay Warnungen vor diesen Phishing-Mails, also haben sie den Zusammenhang mittlerweile wohl erkannt.


    Umso peinlicher, dass die Geschichte noch ein unrühmliches Nachspiel hatte: Einen Tag nach den Betrugsfällen kam eine weitere Mail bei uns an. Vom »eBay.de-Team«. Und in dieser Mail wurde man aufgefordert, seinen Ebay-Account als gewerblich oder privat zu kennzeichnen. Es gab auch einen Link in dieser Mail, der angeblich zu »Mein Ebay« führte, tatsächlich aber zu einer Adresse unter »ebay.de.mediaplex.com«, also irgendeiner Subdomain von mediaplex.com!
      Das war also wieder eine Mail, bei der alle Alarmglocken für einen Phishing-Versuch klingeln müssen: Ein Direktlink zu einer Adresse, bei der man UserID und Passwort eingeben muss, und der nicht direkt zu Ebay führt! Aber: Wenn man sich die Mail ein wenig genauer ansieht, stellt man fest, dass sie offenbar doch echt ist; und der scheinbar falsch Link wird allem Anschein nach doch zu ebay.de umgeleitet. Wenn es nicht gerade die perfekte Fälschung ist, war das diesmal eine echte Ebay-Mail!


    Und wenn man dann auf den Ebay-Seiten eine ausdrückliche Warnung vor den Phishing-Mails liest, mitsamt den Erklärungen, wie man solche erkennen kann, dann fasst man sich doch an den Kopf. Wie kommt das Ebay-Team dazu, wenn sie das Problem schon kennen, selbst eine Mail zu verschicken, die unmittelbar einer Phishing-Mail entspricht?
      Hallo, denkt hier jemand mit?
      Auf diese Weise werden die Kunden ja geradezu dran gewöhnt, auf Phishing-Mails zu reagieren. Und alle Bemühungen um Sicherheit und Aufklärung der Kunden werden so mit einem einfachen Druck auf den Send-Button konterkariert. Mit solchen Mails handelt Ebay schon verantwortungslos und muss sich eine Mitschuld am sorglosen Umgang mancher Kunden mit ihren Passwort-Daten anrechnen lassen. Wenn sie schon dem Kunden in ihren Mails einen einfachen Direktlink anbieten wollen, dann sollten sie doch zumindest eine saubere, eindeutige und für den Laien gleich erkennbare Ebay-Adresse hinterlegen.
      Denn wenn der Kunde erst mal daran gewöhnt ist, »mediaplex.com« anzuklicken, wenn er zu Ebay will, dann lernt er auch, nicht darauf zu achten, was da eigentlich steht. Und beim nächsten Mal klickt er auch »www.passwortklau.de« an. Und glaubt, dass er da in sicheren Händen ist und schon alles seine Richtigkeit hat.

    Samstag, 1. Oktober 2005

    Sozialhilfe für Reiche?

    Warum hat die CDU bei den Umfragen so viel besser abgeschnitten als bei der Wahl? Wollten die Wähler keine Kanzlerin, haben das aber aus Gründen der Political Correctness in den Umfragen nicht zugegeben? Das zumindest behauptet wiederholt meine Tageszeitung.
      Nun, ich für meinen Teil habe immer gerne zugegeben, dass ich Merkel nicht als Kanzlerin will. Und das hat wenig damit zu tun, dass sie eine Frau ist. Ich habe auch von genug Frauen gehört, dass sie gerne mal eine Frau als Kanzlerin hätten – aber eben nicht Merkel.
      Merkel hat die Wahl verloren, weil sie persönlich einfach nicht für den Posten taugt. Dass sie eine Frau war, war sogar noch das einzige, was überhaupt für sie gesprochen hat. Warum also muss immerzu ihr Geschlecht als Entschuldigung herhalten und wird auch von den Medien bereitwillig zur alleinseligmachenden Erklärung hochstilisiert?


    Nein, ich möchte nicht schon wieder die Wahl thematisieren. Ich möchte ich mich mit einem ganz anderen und allgemeineren gesellschaftlichen Phänomen befassen: Warum ist unsere Gesellschaft inzwischen so leicht bereit, einen behaupteten Geschlechterkampf als Begründung für bloßes persönliches Versagen zu akzeptieren? Und was für Folgen hat dieses Verhalten für die Gesellschaft?


    <Ist die Frauenförderung in der heutigen Form eine »Sozialhilfe für Reiche«? Dazu mehr hier im ausführlichen Kommentar>

    Donnerstag, 29. September 2005

    Alltag statt großer Worte

    Im Oktober steht mal wieder die Buchmesse an. Auch, wenn ich mich dort wieder sehen lassen wollte - im Grunde betrifft mich dieser Termin nur am Rande; ganz im Gegensatz zu den vielen Verlagsmitarbeitern, die stressige Vorarbeiten zu leisten haben.

      Was mich allerdings betrifft, sind die Abgabetermine: Einen Roman und ein Übersetzung haben meine Freundin und ich rings um die Buchmesse abzugeben (das eine kurz vorher, das andere in der Woche danach). Im Augenblick sind wir eifrig dabei, die Texte zu überarbeiten und letzte Hand anzulegen.

      Die letzten Septembertage und auch noch fast der ganze Oktober sind für mich also eine sehr stressige Zeit. Das erklärt auch, warum meine wortreichen Ausführungen hier im Blog ein wenig auf sich warten lassen. Da kommt diese Woche vielleicht noch eine Glosse aus dem Archiv zum Einsatz, wenn ich nichts Neues schreiben kann. Aber Content kommt, keine Sorge.

    Im Augenblick merke ich selbst kaum, wie die Zeit vergeht. Schwupp - ist schon wieder Abend und ein Tag vorbei. Zumindest für mich ist die Zeit bis zur Buchmesse nur noch ein Hinterherlaufen hinter Terminen. Meine Freundin, die ja dieselben Termine hat, sieht das womöglich entspannter. Frauen haben ja bekannterweise ein besseres Zeitmanagement.

      Hm, vielleicht sollte ich um einen Gastbeitrag bitten? Arbeit delegieren ist ja immer ein probates Mittel, zum sich Entlastung zu verschaffen ... Ich werde mal sehen, was sich tun lässt ;-) Ich melde mich die Tage mit den Ergebnissen wieder ...

    Freitag, 23. September 2005

    Der Nenner zählt nicht!

    Was tut man, wenn man vom PISA-Schock voll erwischt wurde und aus dem Mathe-Unterricht nur noch Sechsen heimbringt? Nur nicht aufregen: Das reicht immer noch für einen gut bezahlten Job als Rezensent im Kulturteil der Tageszeitung! Vor allem die Filmkritiken erweisen sich immer wieder mal als Ghetto der Journalisten, die mit Zahlen und Fakten nicht viel am Hut haben und den ganzen Tag lieber vorm Fernseher vergammeln ...


    Doch der Reihe nach: Sicher hat jeder schon mal vom berühmten »kleinsten gemeinsamen Nenner« gelesen. Dieser Ausdruck wird gerne verwendet, um das Fehlen von Substanz zu beschreiben. Ein Film beispielsweise, der dem kleinsten gemeinsamen Nenner des Publikums folgt, ist so dämlich und anspruchslos, dass ihm selbst der dümmstmögliche Zuschauer noch mühelos folgen kann. Wer einen solchen Film dreht, der hofft auf viele Zuschauer, weil er zwar vielleicht nicht viel bietet – aber auch niemanden abschreckt!
      Jeder weiß also, was gemeint ist, wenn vom kleinsten gemeinsamen Nenner die Rede ist.
      Was aber, wenn ein Rezensent die gelernten Begriffe nicht einfach verwendet, sondern allzu viel darüber nachdenkt? Dann taucht ganz leicht ein allseits bekanntes Phänomen auf: Wer selbst nicht zu den geistigen Überfliegern zählt und im täglichen Leben wenig versteht, der neigt – wenn die nötige Selbsterkenntnis fehlt – leicht zu dem Vorurteil, dass er nur deshalb nichts versteht, weil die anderen sich alle falsch ausdrücken.


    So erging es wohl auch einem Kulturteil-Rezensenten meiner Tageszeitung, der offenbar letztens mal alles hinterfragen und besser machen wollte. »Warum«, so fragte sich dieser Rezensent, »spricht man eigentlich vom kleinsten gemeinsamen Nenner des Publikums? Es geht doch darum, dass diese Filme ein möglichst großes Publikum erreichen wollen, und groß ist ja nicht klein!«
      Also schrieb er flugs in seine Rezension: »... dass Peter Segal ... auf dem größten gemeinsamen Publikumsnenner zugearbeitet hat.« Das könnte sogar ein lustiges Spiel mit Worten sein, wenn der Rezensent das Gegenteil vom »kleinsten gemeinsamen Nenner« meinen würde und aussagen wollte, dass dieser Peter Segal eher ein anspruchsvolles Publikum bedient. Will er aber nicht, wie man dem Rest der Rezension entnehmen kann. Er wollte einfach nur schlauer sein als alle anderen und die übrige Welt belehren, dass ein großes Publikum auch einen großen Nenner benötigt.


    Nun, ich habe diesen Hilferuf eines blind im Sprachnebel umhertappenden Schreiberlings gehört. Und versuche mal, die mathematischen Lücken im Kulturteil zu stopfen. Also: Was ist ein Nenner?
      Wer nicht allzu oft Mathe geschwänzt hat (beispielsweise, um die morgendlichen Wiederholungen kulturell hochwertiger Filmklassiker nicht zu versäumen), der sollte den Begriff noch aus der Schule kennen: Bei einer Bruchzahl hat man oben den »Zähler« und unten den »Nenner«. Wird der »Zähler« eines Bruches groß, so ist auch die Zahl groß. Der »Nenner« ist aber der Betrag, durch den die Bruchzahl geteilt wird. Und wenn man an viele verteilt, bleibt wenig übrig. Also: Ein großer Nenner ergibt eine kleine Zahl. Ein großes Publikum will einen kleinen Nenner ...


    Aber das ist zugegeben auch nur die halbe Wahrheit: Das Defizit des Rezensenten ist in Wahrheit doch ein sprachliches, kein mathematisches. Denn mathematisch betrachtet ist es natürlich egal, ob man den größten oder den kleinsten gemeinsamen Nenner wählt: Der Bruch bleibt gleich, weil der Zähler sich in gleichem Maße ändert. Aufs Bild übertragen hieße das: In dem einen Fall enthält der Film nur das, was keinen Zuschauer verschreckt; im zweiten Fall enthält er für jeden Zuschauer etwas.
        So funktioniert die Mathematik. Aber nicht die Sprache. Sprache formt Bilder, und sie nimmt nur einzelne Elemente aus anderen Lebensbereichen und versucht damit, abstrakte Zusammenhänge anschaulich zu machen. Das Bild mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner baut gerade darauf auf, dass so mancher aus der Schule noch eine Vorstellung von der Bedeutung eines Nenners hat. Und dass, wenn man vom kleinsten gemeinsamen Nenner spricht, die Assoziation da ist: Der Zähler zählt die Quantität, der Nenner ordnet nach Qualität. Und wenn die Qualität groß ist, wird das Publikum klein.
      Ob diese Vorstellung immer so mit der Wirklichkeit konform geht, sei dahingestellt. Es ist eben ein Klischee. Aber mit dem »größten gemeinsamen Publikumsnenner« wird schlichtweg das Bild krumm. Der Inhalt wird nicht intelligenter, nur die Assoziationen der Worte stimmen nicht mehr. Und damit kommen wir dann auch zum allgemeinen Fazit des heutigen Blog-Eintrags (denn das hier ist ja immer noch ein »Writers-Blog«, um mal wieder daran zu erinnern):


    Sprache ist in erster Linie Konvention. Das bedeutet im Zweifel auch: Nicht denken – nachschlagen! Wenn man souverän und professionell mit Sprache umgehen will, sollte man diese Regel zuallererst verinnerlichen. Wer zu schlau sein möchte und zu viel über die Bedeutung von Worten nachdenkt, dabei aber die Konventionen der Sprache außer Acht lässt, der generiert damit regelmäßig schräge Formulierungen, die bestenfalls falsch wirken – und schlimmstenfalls peinliche Stilblüten sind.
      Vor allem, wenn's dann auch noch mit Mathe hapert ;-)

    Mittwoch, 21. September 2005

    Von Bush lernen heißt siegen lernen!

    Letztens konnte ich im Fernsehen eine Dokumentation zum so genannten »Bibelcode« verfolgen: Da hat irgendein Sp..., äh, eine Person, die vermutlich nicht mehrheitsfähige Ansichten vertritt, behauptet, dass die Welt im Jahre 2006 in einem atomaren Holocaust zugrunde gehen wird. Und das alles soll kodiert in der Bibel stehen.
      Nun, das klingt zunächst wenig überzeugend. Aber dann erfahre ich, dass Bush derzeit eine neue Doktrin für den Atomwaffeneinsatz entwickelt. Die besagt, kurz zusammengefasst, dass die USA in Zukunft gegen alles und jeden Atomwaffen einsetzen können, wenn es ihnen gerade vorteilhaft erscheint, und dass sie Atomwaffen überall hinbringen und stationieren wollen, wo gerade irgendwelche Verrückten mit bösen Absichten rumlaufen.
      Da frage ich mich doch, ob zwischen diesen beiden Sachverhalten ein Zusammenhang besteht ...


    Aber nein – warum das Misstrauen? Die USA sind der mächtigste Staat der Erde. Die wissen schon, was sie tun! Anstatt also das Schlimmste zu befürchten und überall Fehler und Dummheit am Werk zu sehen, sollte man lieber vertrauen. Und lernen.
      Damit meine ich nicht, dass ich in Zukunft mein Geld nur noch an Orte tragen möchte, wo möglichst viele maskierte Bedürftige mit krimineller Vergangenheit herumlaufen. Oder dass ich einen Koffer voller Waffen auf eine Station für geisteskranke Massenmörder bringen will. Aber ich denke doch, dass man nach dem Vorbild der amerikanischen Politik viele potenzielle Gefahrenherde präventiv entschärfen könnte.
      Heute beispielsweise parkte ein dicker Tanklastzug unmittelbar vor unserem Fenster und lieferte dem Nachbarn sein Heizöl. Das war schon ein sehr beunruhigender Anblick, denn immerhin könnte so ein Tanklastzug explodieren und dann die ganze Straße und schlimmer noch: Meine Wohnung gefährden
    !  Meine Lehre aus der US-Politik sieht also so aus, dass ich mir, um mich gegen solche Gefahren zu schützen, am besten gleich eine möglichst schwere Waffe besorgen muss. Ein Raketenwerfer sollte reichen. Und wenn dann dieser bedrohliche Tanklastzug vor meiner Tür steht – zack! Abgeschossen!
      Schon bin ich in Sicherheit und muss nicht immerzu befürchten, dass da irgendein gefährlicher Unfall passieren könnte. Oder?


    Ohne Zweifel eine Taktik, die die Welt verbessern wird. Im großen Rahmen zeigt man den bösen Terroristen, was eine Harke ist: Wenn man irgendwo einen solchen Schurken sieht, gleich eine Atomwaffe drauf! Wollen doch mal sehen, ob die dann noch irgendwo irgendwas kaputt machen können. Und im Kleinen kehrt man vor der eigenen Haustür und verhindert, das Schlimmeres passiert, indem man gleich selbst dafür sorgt.
      Da sollte doch gleich jeder vernünftige und aufrechte Bürger mitmachen. Denn von Bush lernen heißt siegen lernen! Denk ich jetzt mal ...

    Montag, 19. September 2005

    Seltsame Hobbys haben die Leute ...

    »Machen Sie Ihr Hobby zum Beruf«, so kann man regelmäßig in einer Stellenanzeige in meiner Zeitung lesen. Da ich ja nun auch mein Hobby zum Beruf gemacht habe, schau ich da gerne mal genauer hin, was für eine Tätigkeit auf diese Weise mit meiner Berufswahl verglichen wird.
      Und, große Überraschung: Es ist die Arbeit in einem Call-Center! Na, damit hätte ich wirklich nicht gerechnet ...
      Hat etwa tatsächlich jemand das Hobby, bei wildfremden Leuten anzurufen und ihnen irgendwelchen Quarks aufzuschwatzen, den sie nicht haben wollen? Oder die Rückfragen entnervter Kunden zu beantworten, die mit Problemen anrufen, von denen man nicht die leiseste Ahnung hat?
      Können die Inserenten dieser Anzeige wirklich darauf hoffen, dass sich jemand meldet, der das passende Hobby zu diesem Beruf hat?


    Ich fürchte, nein. Viel repräsentativer dürfte da schon die Einschätzung eines jungen Mannes sein, der eine Zeitlang bei unserer Rollenspielgruppe mitgespielt hat: Er hat zunächst im Call-Center gearbeitet und dann eine Ausbildung als Bestatter angefangen. Und verglichen mit seinem früheren Job hat er nach dem Wechsel das Paradies gefunden ... natürlich nur sinnbildlich gesprochen, würde ich sagen. Aber wer weiß?
      Nun, wie auch immer: Wer auch immer die oben angesprochene Anzeige formuliert hat, er ist vermutlich die einzige Person in ganz Deutschland, die dieses sonderbare Hobby pflegt. Ich fürchte, meine unbekannte Dame oder mein unbekannter Herr, Sie werden einsam bleiben. Das muss ich Ihnen leider sagen.
      Aber wer weiß: Vielleicht weiß die Person das ja schon? Vielleicht hat sie ganz bewusst und zynisch eine solche Anzeige formuliert, auf die sich kaum eine Person in ganz Deutschland guten Gewissens und ehrlich bewerben kann? Aber nein, das kann nicht sein: Das würde ja bedeuten, dass dieser Arbeitgeber nur Lügner und Heuchler als Bewerber sucht. Und für welchen Job sollte man solche Leute schon brauchen können?

    Freitag, 16. September 2005

    Jeder hat sein Kreuz zu tragen ... äh, zu machen

    Am Wochenende ist Wahl, und der Wahlkampf findet damit ein Ende. Vielleicht ein Glück, denn da mein Blog in dieser Zeit eröffnet wurde, haben sich tagespolitische Themen förmlich aufgedrängt. Das wird in nächster Zeit hoffentlich ruhiger werden.
      Ich habe die Gelegenheiten genutzt, um noch so oft wie möglich meinen Standpunkt gegen Merkel deutlich zu machen. Weil ich in dieser Hinsicht etwas zu sagen habe und der Ansicht bin, dass es gesagt werden muss. Jetzt ist im Grunde alles gesagt, und es bleibt nur noch das Ergebnis abzuwarten.
      Natürlich redet man damit irgendwie gegen den Zeitgeist an, und das ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel. Aber wenn man resigniert oder sich stets nur für das einsetzt, was Erfolg verspricht, dann verspielt man seine Gestaltungsmöglichkeiten. Und so halte ich es erst mal für wichtiger, was man tut, als was man erreicht.
      Also tue ich, was ich für das Richtige halte. Wenn genug andere dasselbe für richtig halten, wird die Welt damit (zumindest aus meiner Sicht, natürlich) besser. Und sonst muss man halt mit dem weitermachen, was man hat.


    Und das wird, irgendwann nach diesem Wochenende, vermutlich eine Merkel als deutsche Kanzlerin sein. Mir bleibt als Trost nur die Überzeugung, dass sie bei dieser Wahl nicht gewinnen würde, wenn jeder, der es in einem Jahr bereuen wird, diese Regierung gewählt zu haben, diese Regierung schon jetzt nicht wählte.
      Aber in der Vergangenheit hat sich leider oft genug gezeigt, dass die Deutschen – anstatt gleich die Regierung zu wählen, die sie wollen – lieber eine Regierung wählen, die sie nicht wollen, damit sie sich später darüber aufregen können. Dieser Trend spricht eindeutig für Schwarz-Gelb. Das lässt Schlimmes fürchten.
      Ich für meinen Teil werde am Sonntag mein Kreuz machen, und das beste, worauf ich hoffe, ist ein Wahlergebnis, das nur eine große Koalition zulässt. Auch das würde wohl Merkel zur Kanzlerin machen; aber zumindest würde sie dann von einem starken Gegengewicht gebremst und kontrolliert, und vielleicht sogar so weit aufgerieben, dass sie auf Dauer ihre Position nicht halten kann. Am liebsten wäre mir natürlich ein Wahlergebnis, bei dem die CDU gar nicht als Regierungs-Mehrheitspartei antreten wird ... auch das wäre noch denkbar.
      Man wird sehen. Sonntagabend werde ich also feiern, mich freuen oder mich ärgern.
      Und ab Montag geht es dann mit neuen Themen weiter ... hier und wohl auch anderswo.

    Mittwoch, 14. September 2005

    Telekinetische Computer

    Die Tageszeitung ist immer wieder eine Inspirationsquelle fürs Blog. Letztens las ich dort, dass die Princeton-Universität endlich herausgefunden hat, warum Computer immer dann nicht funktionieren, wenn man sie am nötigsten braucht. Die Lösung ist: Telekinese! Der Benutzer mit seinen geheimnisvollen zerstörerischen Kräften überträgt seine Anspannung auf den Rechner und bringt ihn zum Absturz.
      Das erinnert mich gleich an den auffälligsten Vorfall dieser Art, den ich erleben durfte. Es war der Tag vor der Abgabe des ersten Romanes meiner Freundin. Alles war fertig, das Manuskript musste nur noch ausgedruckt werden. Und das Drama begann – nennen wir es mal, in Anlehnung an die Princeton-Untersuchung, »Die geheimnisvolle Macht«.
      Als Erstes weigerte sich der Computer vollkommen, den Drucker anzusprechen. Wir starteten mehrere Druckjobs und auch ein paarmal Computer und/oder Drucker neu. Außer einigen kryptischen Steuerzeichen gab der Drucker nichts von sich. Ich hätte sofort aufgeben sollen, wollte allerdings nicht glauben, dass es plötzlich nicht mehr funktioniert – und verbrachte mehrere Stunden mit Druckertreibern, Kabelverbindungen, Installationen und Testläufen. Und erst dann gab ich auf.
      Zum Glück hatten wir noch einen Laserdrucker. Also, blitzschnell den Switch umgelegt, einen anderen Druckertreiber zugeordnet und schwupp – die ersten Seiten landeten im Ausgabeschacht. Nur leider hatte der Laserdrucker kurzfristig vergessen, wie man Umlaute druckt. Argh! Wieder folgte das übliche Ritual: Testdrucke, Treiber überprüfen, andere Zeichensätze ausprobieren – alles ohne Erfolg. Der Laserdrucker druckte keine Umlaute mehr. Punkt.
      Zum Glück hatten wir noch einen dritten Drucker. Nur leider war das ein Modell der älteren Generation, und der Druckvorgang dauert lange. Und bei den ganzen Technik-Fummeleien war es inzwischen 23.00 Uhr geworden, und wir schafften es an diesem Tag nicht mehr, den Druck zu vollenden. Am nächsten Morgen stand ich früher auf und druckte weiter, und als wir zum Verlagstermin losfahren wollten und schon in Schuhen und Mantel dastanden, spuckte der letzte Drucker gerade rechtzeitig auch das letzte Blatt aus.


    Völlig überflüssiger Stress also, weil nicht nur ein System, sondern auch das Ersatzsystem im Moment dringendster Not versagt hatte. Ich war verärgert. Und am nächsten Tag reservierte ich mir die nötige Zeit, um das System von Grund auf zu renovieren. Neuinstallation war angesagt, und auch vor dem Austausch technischer Komponenten hätte ich nicht zurückgeschreckt, zumal sich schon in den Tagen vor der Abgabe die Schwierigkeiten gehäuft hatten.
      Was geschah? Ich schaltete den Rechner an und schickte zu Testzwecken eine Datei an den Drucker, um mal in aller Ruhe und ohne Hektik den Fehler zu analysieren. Fehler? Welcher Fehler? Alles funktionierte einwandfrei. Ich versuchte es mit denselben Dateien, die zwei Tage vorher nicht funktioniert hatten. Der Drucker druckte. Ich schaltete auf Laser um, und ein Text mitsamt Umlauten erschien.
      Fassungslos probierte ich alle möglichen Kombinationen aus, aber keiner der kurz zuvor beobachteten Fehler tauchte jemals wieder auf. Und auch die Schwierigkeiten, über die meine Freundin vorher geklagt hatte – beispielsweise häufige Abstürze und fehlerhaftes Abspeichern im Word – wiederholten sich nicht wieder. Nie wieder. Es war, als wäre ein Geist aus der Maschine entwichen.
      Jetzt, dank Princeton, kenne ich den wahren Grund: Meine Freundin hat telekinetische Kräfte!


    Nun, kein Grund zur Aufregung: Als regelmäßiger Zuschauer einschlägiger Mystery-Filme habe ich dafür auch schon die Lösung parat. Für die nächste Romanabgabe liegt schon die praktische Kappe aus Alufolie bereit. Wenn der Drucker wieder streikt – dann kommt meine Freundin unter die Haube, und die Störstrahlen sind gebannt!
      Was den praktischen Nebeneffekt hat, dass wir auch für UFOs nicht mehr zu orten sind ... Aber das weiß der eingefleischte Mystery-Fan ja schon selbst.

    Montag, 12. September 2005

    Der Unterschied zwischen Wetter und Wetterbericht

    Am Freitag schaute der Wetterbericht vorbei. »Am Montag wird's regnen«, sagte er.
      »Das kann nicht sein«, erwiderte ich. »Am Montagabend muss ich mit dem Fahrrad zum Bahnhof fahren.«
      »Dann solltest du vielleicht das Auto nehmen«, empfahl mir der Wetterbericht.
      »Vergiss es«, erwiderte ich. »Das geht nicht. Ich will nach Köln und was trinken.«
      Wir stritten also hin und her, und im Laufe des Wochenendes bekam ich den Wetterbericht tatsächlich mürbe.
      »Nun gut, meinetwegen«, gab er heute morgen nach. »Regen nur noch heute Vormittag. Am Nachmittag wird's dann wieder schön trocken, und Regen gibt's erst am Mittwoch wieder. Reicht das?«
      »Selbstverständlich«, sagte ich erfreut, und der Wetterbericht zog ab.


    Ich war also im weiteren Verlauf des Tages gut gelaunt und feierte meinen Erfolg. Im Laufe des Tages blickte ich immer wieder misstrauisch nach draußen. Und jetzt ist es Montagabend – und ich frage mich, ob ich nicht lieber das Wetter hätte überzeugen sollen, anstatt meine Zeit mit dem Wetterbericht zu verschwenden.

    Sonntag, 11. September 2005

    Wahlkampf-Selbstbetrug

    »Union bangt um den Sieg«, so lautet die Schlagzeile meiner Tageszeitung zum Wochenende. Das klingt fast so, als hätte die CDU sich etwas erarbeitet, oder gar Anspruch auf etwas, was ihr nun zu entgleiten droht. Dabei ist es schon vermessen von ihr, einen solchen Wahlsieg überhaupt einzufordern.
      Denn, nüchtern betrachtet: Die CDU hat für die Zeit nach der Wahl nichts zu bieten, was hier zu Lande mehrheitsfähig wäre. Kirchhofs Steuerpläne vielleicht (und selbst da habe ich inzwischen anders lautende Umfrageergebnisse gesehen), aber die möchte die CDU ja ohnehin nicht umsetzen. Wenn es also eine Zeitlang so aussah, als hätte die CDU den Wahlsieg in der Tasche, dann lag das nicht daran, dass sie eine Mehrheit der Bürger überzeugt hätte – vielmehr hat eine Mehrheit der Bürger von der gegenwärtigen Regierung die Nase voll und würde fast alles wählen, um sie los zu werden. Fast alles, wie sich immer stärker zeigt.
      Also, bisher hat die CDU dem deutschen Wähler ein Horrorprogramm vorgelegt, dass keiner haben will. Und sie hat darauf gehofft, dass dieser Wähler mit der gegenwärtigen Regierung so unzufrieden ist, dass er nicht weiter darüber nachdenkt und aus bloßem Zorn über Schröder für Merkel stimmt. Und die dann später sagen kann: »Gewählt ist gewählt – und jetzt soll der Wähler gefälligst die Klappe halten.«
      Das ist schon eine ziemlich unverschämte und dreiste Rechnung. Wenn nun die Gefahr besteht, dass sie nicht aufgeht, dann sollte die CDU-Spitze nicht so gekränkt herumjammern. Sondern sich lieber dafür schämen, wie sie sich durch den Wahlkampf mogeln wollte, und vielleicht ein wenig Reue zeigen. Aber das wäre natürlich zu viel verlangt.


    Aber muss die Union wirklich um den Sieg bangen? Eigentlich nicht. Anfang des Jahres sah es noch so aus, als hätte Schwarz-Gelb sogar Aussicht auf eine Zweidrittelmehrheit. Nun reicht es für Schwarz-Gelb vielleicht gar nicht mehr – aber die einzige Alternative wäre dann eine große Koalition.
      Und auch in einer großen Koalition wäre die CDU die führende Regierungspartei, und Merkel vermutlich die künftige Kanzlerin. Und damit hätte die CDU ohnehin schon mehr bekommen, als ihr eigentlich zusteht – und umso maßloser wirken jetzt die Klagen im Schlagzeilen-Format.
      Genau genommen muss die Union nicht um den Sieg bangen. Sie muss nur befürchten, dass sie den Sieg nicht ganz so bekommen wird, wie sie ihn haben will. Und da sie bisher nichts dafür getan hat, um sich diesen Sieg zu erarbeiten, sondern vielmehr nur darauf hoffte, ihn geschenkt zu kriegen ... hat sie ihn auch nicht verdient. Sie soll also das Almosen annehmen, das ihr der Wähler mangels Alternativen am Wahltag zubilligt, und dafür dankbar sein.

    Freitag, 9. September 2005

    Nasse Füße

    Mehr als eine Woche nach dem Hurricane glätten sich allmählich die Wogen im Chaos der Berichterstattung, und es wird möglich, eine erste Bilanz zu ziehen. Aber muss dazu überhaupt noch mehr gesagt werden? Zumal aus Deutschland, weitab vom Geschehen, wo doch genug Blogger vor Ort und Stelle authentische Berichte liefern?
      Andererseits ist die Katastrophe von New Orleans kein weit entferntes Unglück, sondern es betrifft uns selbst unmittelbar. Es ist ein Teil unserer Welt, der da untergeht – aber die Sorgen, die man als Beobachter hier in Deutschland dabei hat, sind naturgemäß ganz anders als die des Betroffenen vor Ort, der überhaupt erst mal seine Füße aus dem Wasser kriegen muss, bevor er sich über andere Dinge Gedanken machen kann.


    Ich halte es also für sinnvoll, dass man nicht nur aus der Ferne den Berichten aus den USA lauscht, mit einer Mischung aus Mitleid, Erleichterung und der Empörung vermeintlicher moralischer Überlegenheit über die Fehler der Busch-Administration. Es ist leicht, die Probleme als weit entfernt zu definieren. Aber sie sind uns näher, als wir denken.


    <Lesen Sie hier im ausführlichen Aufsatz, warum der Untergang von New Orleans auch mir nasse Füße bereitet>

    Donnerstag, 8. September 2005

    Treffen unter Freunden

    Ist es nicht seltsam? In der letzten Woche hatte ich zahlreiche Einfälle, was ich in mein Blog schreibe. Ich war viel unterwegs, und oftmals habe ich Dinge gesehen, bei denen ich mir dachte: Da kann man was draus machen. Oder ich habe in der Zeitung gelesen, und gerade jetzt im Wahlkampf schüttelt man dabei oft den Kopf und denkt: Dazu muss man doch was sagen!
      Ich hatte also viele Einfälle für mein Blog, aber gerade weil ich viel unterwegs war, hatte ich keine Zeit, sie aufzuschreiben. Und jetzt, wo ich Zeit habe (ein wenig) und alles nachholen will – sind die Einfälle weg.
      Also werde ich nur kurz beschreiben, warum ich nach Bayern immer noch nicht zu Hause war, und wo die Zeit und die Pflege meines Blogs geblieben ist.


    Das ganze fing 1993 an (ich weiß, das wirkt ein wenig weit ausgeholt, wenn man eigentlich nur erzählen will, wie man das letzte Wochenende verbracht hat; aber es fing nun mal 1993 an, was soll ich machen?) - da nahmen wir das erste Mal in Lützenkirchen an einem Treffen von Star-Wars-Fans teil, an einem Star-Wars-Con also. Ich erinnere mich gar nicht mehr, wie der Club hieß, der das organisierte. Aber es war ein tolles Treffen, gute Stimmung und der Anfang einer jahrelangen Star-Wars-Phase, in deren Verlauf meine Freundin und ich auch ein paar Fanzines zum Thema herausbrachten. Ein sehr fruchtbares Beginnen also, damals, im Jahr 1993 ...
      Äh, ja – das letzte Wochenende. Also, da muss ich ein wenig weiter ausholen: Die besagten Star-Wars-Cons in Lützenkirchen wiederholten sich von Jahr zu Jahr. Die Stimmung war nie mehr so wie beim ersten Treffen, aber es war immer noch ein Event. Allerdings verlagerten sich allmählich die Themen, und auch die Zusammensetzung der Teilnehmer änderte sich: Manche zerstritten sich, neue Leute kamen hinzu. Das Thema wurde offener: Zu Star Wars gesellt sich Akte X und Babylon 5 ... und dann war es irgendwann vorbei, und der Freundeskreis zerstreute sich.
      Mit einigen Leuten blieb man in Kontakt, aber eher aus der Ferne. Bis schließlich, vor einigen Jahren, ein paar der ehemaligen Star-Wars-Fans beschlossen, sich wieder in Lützenkirchen zu treffen. Da sich ja einiges verändert hatte und es nicht mehr nur um Star Wars ging, nannte man das ganze nicht mehr Con, sondern einfach nur noch »Treffen unter Freunden«. Ja, und genau da bin ich am Wochenende gewesen.
      Man trifft sich also mit alten Freunden in recht familiärer Atmosphäre. Man kocht zusammen, unterhält sich, hauptsächlich über SF; man redet über die großen Filme des letzten Jahres, welche Klassiker-Sondereditionen zuletzt auf DVD erschienen sind. Wir haben einen Puppen-Animationsfilm gesehen, der von Teilnehmern am Treffen selbst gedreht wurde, und einen Star-Wars-Fanfilm. Und so weiter. Die traditionelle Wasserschlacht fand in diesem Jahr nicht statt, so wenig wie das Live-Rollenspiel (das hat sich vor einigen Jahren schon festgefahren, aber irgendwie schafft es einfach niemand, einen richtigen »Reboot« hinzukriegen und einfach ein neues Abenteuer zu organisieren).
      Dafür habe ich, wie immer bei diesem jährlichen Treffen, wieder ein interessantes Gesellschaftsspiel kennen gelernt (»Die Werwölfe von Düsterwald« - ein nettes Spiel, aber leider braucht man mindestens 8 Spieler dafür, und die kriegt man ja nicht so leicht zusammen. Außerdem war ich 4 mal hintereinander der Werwolf, und beim 5. Mal wollte mir niemand glauben, dass ich diesmal keiner bin, obwohl die Wahrscheinlichkeit, 5 mal hintereinander den Werwolf zu ziehen, nur bei ca. 1:250 liegt ... aber ich schweife ab).


    Also, so viel zum Wochenende. Und auch wenn ich all die zahllosen spektakulären Ereignisse wieder vergessen hatte, die ich dazu eigentlich in mein Blog schreiben wollte, so war es doch ein schönes Treffen unter Freunden.
      Und im nächsten Jahr führe ich auch Buch darüber, damit die Berichterstattung hier auch reißerischer wird. Großes Werwolfsehrenwort. Und einem Werwolf kann man vertrauen. Ehrlich!

    Dienstag, 6. September 2005

    Bahnfahren und andere schöne Dinge

    So, in den letzten Tagen ist wenig von mir gekommen. Das lag daran, dass ich selbst auch zu wenig gekommen bin und viel außer Haus war. Also ist in nächster Zeit »nacharbeiten« angesagt. Und hier der Anfang:


    Letzte Woche war ich zu Besuch bei meinen Eltern in Bayern, und über die Bahnfahrt könnte ich eine Menge erzählen. Ich könnte beispielsweise erzählen, wie auf der Hinfahrt im ersten Nahverkehrszug ein penetranter Brandgeruch aus dem Verbindungsstück zwischen zwei Waggons zog. Nicht unbedingt beunruhigend im Sinne von »hier brennt's«, sondern einfach nur stechend und unangenehm – der typische Geruch von schleifendem Metall, von Bremsen beispielsweise. Da fühlte man sich im Nichtraucherabteil gleich wie zu Besuch in der Stahlfabrik. Vor der Erfindung von Filteranlagen ...
      Ich könnte davon erzählen, wie auf meinem Bahnsteig in Köln Hbf nur im Raucherbereich Bänke angebracht waren. Wohlgemerkt, auf diesem Bahnsteig – auf dem Bahnsteig beispielsweise, auf dem ich ankam, waren die Bänke gleichmäßiger verteilt, wie um zu zeigen, dass es ginge, wenn die Bahn wollte. Aber auf dem Bahnsteig für den Fernverkehr blieb Fahrgästen nur die Wahl, entweder das Rauchen anzufangen oder zu stehen. Soll das etwa der Beitrag der Bahn zum Rentenproblem sein, dass man so beispielsweise jeden alten Menschen, der nicht mehr so gut zu Fuß ist, automatisch in die Lungenkrebs-Ecke drängt?
      Und ich könnte davon erzählen, wie ich bei der Rückfahrt in einem Nahverkehrszug saß, der die Probleme mit offen stehenden Türen auf sehr eigene Art löste. Vielleicht kennt sonst noch jemand diese Zwischentüren: Sie lassen sich ganz normal aufschieben, gehen aber nach einer gewissen, nicht eindeutig festgelegten Zeit wieder zu. Und sie gehen zu – egal, wer oder was noch dazwischen steht!
      Manchmal gehen sie auch schon wieder zu, bevor sie noch ganz geöffnet sind, und häufig sah man verzweifelte Fahrgäste, die aussteigen wollten und mit der einen Hand den Koffer balancierten, während sie mit der anderen verzweifelt an der Tür ruckelten und zerrten. Da wundert man sich nicht, dass man besagte Türen etwa in der Hälfte aller Fälle defekt und halb aus der Führungsschiene gerissen vorfindet – ich muss sagen, wäre ich ein 120-Kilo-Typ und würde die Tür mit mir das machen, was sie mit mir bei dieser Fahrt gemacht hat, hinge sie anschließend auch halb aus der Führungsschiene gerissen da. Und wenn so eine Tür mal ein paar Fahrten mitmacht, kommt irgendwann auch unweigerlich mal ein 120-Kilo-Typ vorbei ...
      Wenn mehrere Leute beim Einsteigen durch diese Tür wollten und sie ausnahmsweise mal perfekt funktionierte, bedeutete das auch nur, dass sie spätestens beim dritten Fahrgast wieder zuging. Krach-Peng! Natürlich auch, wenn der Fahrgast gerade dazwischen steht und nicht weitergehen kann, weil sich eine Schlange gebildet hatte.
      Diesmal ging dabei alles gut – in den 15 Minuten, die ich im Zug saß, kamen nur Fahrgäste, die jung und gesund waren, aber nicht zu jung. Bei früheren Fahrten habe ich allerdings auch schon erlebt, wie ein kleines Kind von einer solchen Tür »zusammengeschlagen« wurde und danach heulend bei der Mutter im Arm hing; und zweimal hat es ältere Leute erwischt, denen ein Bein eingeklemmt wurde oder die einen kräftigen Stoß gegen die Schulter erhielten, weil sie sich nach Meinung der Tür nicht so zügig bewegten, wie es Fahrgäste der Deutschen Bahn tun sollten ...
      Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Türen nicht irgendwann mal einen gebrechlichen Fahrgast ernsthaft verletzen oder das schon getan haben. Ich kann Betroffenen jedenfalls gerne bestätigen, dass das Problem bei den Türen schon länger besteht, dass es mehrfach Schaffnern gegenüber zur Sprache gebracht wurde und die Bahn es offenbar bewusst nicht für nötig hält, diese Fallbeile in ihren Zügen zu entschärfen.


    Wie gesagt, das alles könnte ich erzählen. Aber nachdem ich schon in Bezug auf meine Reise nach Berlin einige despektierliche Anmerkungen fallen ließ, könnte dadurch der Eindruck entstehen, ich würde mich auf die Bahn einschießen. Das ist natürlich nicht der Fall. Denn für die Unhöflichkeit der Fahrgäste, die keine Türen schließen, kann die Bahn ja nichts. Und die gemeingefährlichen Schnapptüren sind ja überhaupt nur deshalb eingeführt worden, um den Höflichkeitsmangel der Fahrgäste durch einen technischen Mangel auszugleichen.
      Und Deutschland braucht ja auch mehr Optimismus und keine Meckereien. Deshalb erzähle ich jetzt keine Dinge, sondern sage etwas Positives über das Bahnfahren. Also ... äh ... ja ... Blumen! Ja, Blumen sind doch irgendwie was Positives. Und wenn man bei der Bahnfahrt aus dem Fenster schaut, sieht man dann und wann auch mal Blumen.
      Na bitte, da geht es doch gleich aufwärts mit Deutschland und der Bahn!

    Mittwoch, 31. August 2005

    Fetter Frosch

    Über zwei Monate ist es nun her, dass wir mehr als 12.000 Minifrösche geborgen haben, die in einem Leichlinger Brunnen festsaßen. Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen.


    Ich habe es mir ganz einfach gemacht und mich ein wenig in unserem Garten umgesehen, in dem vielleicht 100 der vielen tausend Frösche gelandet sind. In den ersten Tagen danach herrschte im Rasen ein insektengleiches Gewimmel, dann haben sie sich ein wenig verteilt.
      Die aktuelle Bestandsaufnahme förderte zuallererst einen riesengroßen Monsterfrosch zutage, der sich im Gestrüpp nahe dem Holzhaus verbarg. Er war wirklich riesig und konnte auch große Sprünge machen – allerdings war es mit einiger Wahrscheinlichkeit keiner unserer Frösche. Zu groß für die kurze Zeit ...
      Wenn man sich in der Abenddämmerung dem kleinen Tümpel hinter dem Haus annähert, findet man dort reges Leben vor. Dann und wann hört man gedämpftes Quaken; man hört ein Platschen, wenn ein Frosch ins Wasser springt, und überall schieben sich kleine Köpfchen aus den Wasserlinsen. Außerdem sah der Vater meiner Freundin letztens beim Rasenmähen eine große Schar Frösche in die Pfefferminze flüchten.
      Also: Anscheinend haben die Ausgesetzten sich hier gut eingelebt.
      Zeit für die Ernte!


    Also, flugs ein großes Netz geschnappt und zum Fröschepflücken ausgerückt. Wenn man bedenkt, dass sie vor zwei Monaten noch kaum größer als Käfer waren, haben sie inzwischen schon einiges angesetzt. Das lohnt sich wirklich.
      Es dauert kaum eine Stunde, schon ist der Eimer voll. Und jetzt surfe ich gerade nach guten Rezepten, denn heute Abend gibt es saftige Froschschenkel. Da soll noch mal einer sagen, Naturschutz würde sich nicht lohnen ...


    Moment – was ist das für ein Geräusch. Die Tür zu meinem Zimmer öffnet sich. Meine froschfanatische Freundin kommt herein. Ich glaub, ich muss schlussmachen ... Aua ... Ich brauch grad beide Hände. Aua.
      Ich hoffe, ich kann mich die nächsten Tage wieder melden. Ich fürchte, fürs Abendessen muss ich mir was anderes überlegen.

    Montag, 29. August 2005

    Recht(s) so?

    Gestern habe ich den Film »Die Duellisten« von Ridley Scott gesehen. Der Film war schön und ganz anders, als ich erwartet hätte – aber darum geht es gar nicht. Vielmehr geht es darum, warum ich den Film bisher noch nicht gesehen hatte.
      Gehört hatte ich durchaus davon, allerdings habe ich ihn bisher den 90ern zugerechnet. Wie überrascht war ich, als ich gestern feststellte, dass er 1977 erschienen ist. Nun habe ich während der 80er eine Menge Filme gesehen, und hatte zu dieser Zeit auch meine Mantel-und-Degen-Phase, während derer mir »Die Duellisten« unmöglich entgangen wären.
      Und doch kam mir der Film zu dieser Zeit niemals unter.
      Erst in den 90ern habe ich davon gehört, und zu dieser Zeit hatten sich meine Interessen geändert und ich habe eher wenig Neigung verspürt, ihn zu sehen. In den 80ern hätte ich ihn gewiss ausgeliehen, wäre ich in der Videothek darauf gestoßen. Und umso mehr hätte ich ihn gesehen, wenn er im Fernsehen gelaufen wäre. Ist das tatsächlich niemals geschehen? Lief dieser Film nicht 10, 15 Jahre nach seinem Erscheinen im heimischen Pantoffelkino? Woran lag das? Ganz gewiss war er nicht zu stillos für die damaligen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten.
      Meine Freundin schlug zu diesem Thema vor: »Das lag vermutlich an den Rechten«. Das gab mir sehr zu denken.

    Haben also tatsächlich wieder mal die Rechten schuld? Ich bin wirklich empört: Wenn tatsächlich die Rechten verhindert haben, dass dieser Film im Fernsehen gezeigt wurde, dann geht das wirklich zu weit. Aber es wäre glaubwürdig.
      Ich habe in letzter Zeit schon öfter gehört, dass die Rechten in der Medienindustrie kräftig mitmischen. Hohe CD-Preise, Einschränkung der Privatkopie, und die freie Kunst allgemein erstickt unter einer Flut missbräuchlicher Prozesse wegen angeblicher Plagiate oder Persönlichkeitsverletzungen – und immer wieder haben diese Fälle mehr oder minder »mit den Rechten« zu tun!

    Also: Die Rechten sind nicht länger nur ein Problem der Fünf Neuen Länder. Sie sind inzwischen überall, und sie haben an allem schuld. Es wird in der Tat Zeit, dass wir uns nicht länger von den Rechten vorschreiben lassen, was man sehen, hören oder sonstwie medial konsumieren kann.
      Es wird höchste Zeit, dass endlich mal jemand was gegen diese Rechten unternimmt, die uns offensichtlich schon unser Fernsehprogramm beschneiden.

    Freitag, 26. August 2005

    Bewertung nach dem Ausschlussverfahren

    Die neue »Linkspartei« eröffnet ein Ausschlussverfahren gegen innerparteiliche Kritiker. Gerechtfertigt? Das kann ich nicht beurteilen. Die Kritiker sind gegen den Zusammenschluss mit der PDS. Aber die Wahl ist so kurzfristig gekommen, dass kaum Zeit für Diskussionen bleibt, und die WASG hat nun mal alles auf diese Karte gesetzt.
      Also, es mag durchaus sein, dass ein Streit zu diesem Zeitpunkt die neue Partei demontiert und es daher sinnvoll ist, Disziplin einzufordern. Einen Monat lang sollte das ja wohl durchzuhalten sein.

    Kopfschmerzen bereitet dabei allerdings, dass gerade dann ein Ausschlussverfahren eingeleitet wurde, als sich der Konflikt vom politischen Richtungsstreit zu eindeutigen Sachfragen verlagerte: Hat der Bundestagskandidat Hüseyin Aydin sich unkorrekt verhalten und seine Partei geschädigt?
      Wenn die Kritiker zu dieser Frage Aufklärung fordern, ist da kein Raum für Disziplinierungsmaßnahmen: Für eine Partei, die vor allem auch als moralische Alternative ernst genommen werden will, muss es eine Selbstverständlichkeit sein, diesen Vorwürfen nachzugehen. Wenn diese Partei einerseits mehr finanzielle Gerechtigkeit für alle fordert und andererseits zugleich in den Ruch gerät, Korruption in den eigenen Reihen zu decken – dann hat sie sich eigentlich schon selbst demontiert, bevor sie noch ein erstes Mal zur Wahl stand.

    Also, es lohnt sich, dieses Ausschlussverfahren genau zu beobachten. Es ist der Prüfstein für die Glaubwürdigkeit der Linkspartei. Und das hat wenig mit dem Streit zwischen der Parteiführung und den Kritikern zu tun – es geht darum, dass die WASG nun in der Pflicht ist, zu beweisen, dass das Ausschlussverfahren im Sinne der Partei liegt und nicht nur ein Vorwand ist.
      Also, ich schaue, ob Hüseyin Aydin zurücktritt; oder ob die Partei die Vorwürfe gegen ihn von unabhängiger Stelle untersuchen lässt. Das sind die einzigen Möglichkeiten, um zu beweisen, dass das Ausschlussverfahren nicht der Behinderung innerparteilicher Kontrollmechanismen dient. Und einen Beweis kann man verlangen – eine bloße Behauptung reicht nicht aus. Bei einem so drastischen Schritt zur Parteidisziplin wie einem Ausschlussverfahren müssen auch vergleichbar drastische Schritte für die Parteiglaubwürdigkeit möglich sein.
      Eine Partei, die auch nur im Verdacht steht, wegzuschauen, wenn einzelne Mitglieder sich an gemeinschaftlichen Geldtöpfen zu schaffen machen, sollte man auf keinen Fall an staatliche Geldtöpfe heranlassen. Vor allem dann nicht, wenn dieser Verdacht schon so früh aufkommt – denn entsprechende Begehrlichkeiten wachsen in der Politik ohnehin früh genug.

    Also: Sind die Kritiker die »Bösen« und gehören ausgeschlossen, oder sind die Parteioberen die »Bösen« und wollen mit allen Mitteln Missstände vertuschen? Die WASG hat es selbst in der Hand, diese Frage noch vor der Wahl zu beantworten.