Sonntag, 11. September 2005

Wahlkampf-Selbstbetrug

»Union bangt um den Sieg«, so lautet die Schlagzeile meiner Tageszeitung zum Wochenende. Das klingt fast so, als hätte die CDU sich etwas erarbeitet, oder gar Anspruch auf etwas, was ihr nun zu entgleiten droht. Dabei ist es schon vermessen von ihr, einen solchen Wahlsieg überhaupt einzufordern.
  Denn, nüchtern betrachtet: Die CDU hat für die Zeit nach der Wahl nichts zu bieten, was hier zu Lande mehrheitsfähig wäre. Kirchhofs Steuerpläne vielleicht (und selbst da habe ich inzwischen anders lautende Umfrageergebnisse gesehen), aber die möchte die CDU ja ohnehin nicht umsetzen. Wenn es also eine Zeitlang so aussah, als hätte die CDU den Wahlsieg in der Tasche, dann lag das nicht daran, dass sie eine Mehrheit der Bürger überzeugt hätte – vielmehr hat eine Mehrheit der Bürger von der gegenwärtigen Regierung die Nase voll und würde fast alles wählen, um sie los zu werden. Fast alles, wie sich immer stärker zeigt.
  Also, bisher hat die CDU dem deutschen Wähler ein Horrorprogramm vorgelegt, dass keiner haben will. Und sie hat darauf gehofft, dass dieser Wähler mit der gegenwärtigen Regierung so unzufrieden ist, dass er nicht weiter darüber nachdenkt und aus bloßem Zorn über Schröder für Merkel stimmt. Und die dann später sagen kann: »Gewählt ist gewählt – und jetzt soll der Wähler gefälligst die Klappe halten.«
  Das ist schon eine ziemlich unverschämte und dreiste Rechnung. Wenn nun die Gefahr besteht, dass sie nicht aufgeht, dann sollte die CDU-Spitze nicht so gekränkt herumjammern. Sondern sich lieber dafür schämen, wie sie sich durch den Wahlkampf mogeln wollte, und vielleicht ein wenig Reue zeigen. Aber das wäre natürlich zu viel verlangt.


Aber muss die Union wirklich um den Sieg bangen? Eigentlich nicht. Anfang des Jahres sah es noch so aus, als hätte Schwarz-Gelb sogar Aussicht auf eine Zweidrittelmehrheit. Nun reicht es für Schwarz-Gelb vielleicht gar nicht mehr – aber die einzige Alternative wäre dann eine große Koalition.
  Und auch in einer großen Koalition wäre die CDU die führende Regierungspartei, und Merkel vermutlich die künftige Kanzlerin. Und damit hätte die CDU ohnehin schon mehr bekommen, als ihr eigentlich zusteht – und umso maßloser wirken jetzt die Klagen im Schlagzeilen-Format.
  Genau genommen muss die Union nicht um den Sieg bangen. Sie muss nur befürchten, dass sie den Sieg nicht ganz so bekommen wird, wie sie ihn haben will. Und da sie bisher nichts dafür getan hat, um sich diesen Sieg zu erarbeiten, sondern vielmehr nur darauf hoffte, ihn geschenkt zu kriegen ... hat sie ihn auch nicht verdient. Sie soll also das Almosen annehmen, das ihr der Wähler mangels Alternativen am Wahltag zubilligt, und dafür dankbar sein.

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