Folgerichtig hatte ich vor einiger Zeit auch ein Schreiben der »Fernsehlotterie« eines bekannten Senders im Briefkasten, mit der Möglichkeit, ein Los zu erwerben und damit noch Gutes zu tun. Fürs Altpapier war dieses Schreiben viel zu schade – lag doch ein Rückantwortumschlag bei, mit sehr offiziell aussehendem Logo. Und ich erinnerte mich gerade noch rechtzeitig an Herrn Werner¹, einen Kollegen, der mir mal übel mitgespielt hat. Und von dem ich zufällig wusste, dass er eben dieser Fernsehlotterie regelmäßig über ein Jahreslos verbunden ist.
Grund genug, mich in vorweihnachtliche Basteleien und Vorbereitungen zu stürzen.
Zuallererst musste ich in Hamburg ein Hotelzimmer buchen. Ach, was sag ich Zimmer – eine Suite natürlich, für vier Personen! Das Teuerste, was ich nur irgendwie über Internet und E-Mail auf den Namen »Werner« vorbuchen konnte. Für Herrn Werner und Frau und zwei Kinder natürlich, und zwar an Heiligabend.
Jetzt musste ich die Familie Werner nur noch dazu bewegen, auf Weihnachten nach Hamburg zu fahren. Dazu verfasste ich im Namen der Lotteriegesellschaft einen netten Brief, in dem ich Herrn Werner wissen ließ, dass sein Jahreslos bei der großen Sonderziehung zum Jahresende gewonnen hatte und seinem Besitzer einen erklecklichen Preis bescheren würde. Natürlich, passenderweise, an Heiligabend – dort nämlich sollte eine große Gala fürs Fernsehen aufgezeichnet werden, während derer man auch Herrn Werner und seiner Familie den Preis verleihen und das Ereignis gebührend feiern werde.
Die Adresse für die Gala hatte ich zuvor sorgsam herausgesucht. Wollte ich doch eine Umgebung, die gegen 21.00 Uhr Abends am 24. einen angemessen düsteren, einsamen und ein wenig verrufenen Eindruck macht. So gut man es aus der Ferne halt bestimmen kann, bat ich Herrn Werner (natürlich in dem Schreiben und im Namen der Lotterieverantwortlichen), sich am Heiligen Abend zur angegebenen Zeit in dem Fernsehstudio einzufinden, das eigens für diesen Anlass und an diesem Abend in einer großen, stimmungsvollen Lagerhalle in der Hafenstraße 16 eingerichtet worden war. Ich empfahl zu Anreise ein Taxi (weil es sonst in dieser gottverlassenen Gegend nichts gibt, nicht einmal Parkplätze – aber das drückte ich natürlich ein weniger feiertäglich aufbereitet aus).
Ferner wies ich in dem Brief darauf hin, dass im Hotel Adler schon eine Suite für Herrn Werner und seine Familie gebucht sei (bezahlt? Ich schrieb doch nichts von bezahlt!); und ich wünschte ihm ein frohes Weihnachtsfest in Hamburg. Dann packte ich das Schreiben in den Rückantwortumschlag, den mir die Lotterie so freundlich hatte zukommen lassen, druckte Herrn Werners Anschrift auf einen Aufkleber und überklebte damit die vorgedruckte Rückantwortadresse.
Und, ich muss mich selbst loben, es sah doch wunderschön so aus wie eine offizielle Gewinnmitteilung dieser bekannten und hoch seriösen Fernsehlotterie. Wer kann sich vorstellen, dass Herr Werner einem solchen Weihnachtsgeschenk, einem fetten Gewinn und dem Auftritt in einer glamourösen Fernsehgala widerstehen kann?
Ich jedenfalls nicht. Nicht bei Herrn Werner.
Nun ja, die Weihnachtsvorbereitungen sind vorbei, der Brief hat schon lange den Weg zum Empfänger gefunden, und es ist an der Zeit, das Fest zu genießen. Womöglich ist die Familie Werner ja schon in Hamburg angekommen und hat die auf ihren Namen reservierte Suite bezogen? Ich hoffe, es gab dabei keine unerwarteten Enthüllungen – denn immerhin möchte ich ja, dass mein lieber, werter Kollege heute Abend noch mit dem Taxi zur Hafenstraße fährt, zwischen düsteren Lagerhallen und in finsteren Hinterhöfen nach dem Eingang zum Studio sucht und alles in allem eine schöne, stille Weihnacht erlebt. Ja, ein wenig Schnee wäre auch angebracht – was gibt es schöneres als eine strahlend weiße Weihnacht für die ganze Familie im Hamburger Hafen? Vor allem dann, wenn man zu einer Gala gekleidet darin herumtollen kann.
Ich wünsche der Familie Werner jedenfalls eine fröhliche Weihnacht. Und schon ein wenig österliche Stimmung bei der Suche nach einem Telefon, um ein Taxi für den Rückweg zum Hotel zu bestellen – denn natürlich habe ich in dem Schreiben auch darum gebeten, keine Handys zur Gala-Aufzeichnung mitzubringen. Man weiß ja, was Handystrahlung mit empfindlicher Technik anstellen kann, und Herr Werner will sich doch gewiss nicht diesen schönen und einzigartigen Weihnachtsabend durch vermeidbare Störungen verderben?
Weihnachten ist ja auch das Fest des Friedens und der Liebe. Diese Stimmung lässt auch mich nicht unberührt. Angesichts der stillen, besinnlichen Heiterkeit, wie sie mir der Gedanke an Familie Werner heute Abend beschert, ist es wohl an der Zeit, Frieden zu schließen und meinen Groll gegen den lieben Kollegen zu begraben. Was mal wieder beweist: Wenn man Streit hat, sollte man sich nicht grummelnd vergraben, sondern lieber Kontakt suchen und dem Kontrahenten einfach mal einen Brief schreiben.
Vielleicht kennen Sie ja auch jemandem, dem Sie irgendwann zu Weihnachten einfach mal eine Überraschung bereiten können?
¹Alle Namen, Adressen etc. sind selbstverständlich geändert, um sicherzustellen, dass der Familie Werner auch die Weihnachtsüberraschung nicht verdorben wird.
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