Freitag, 7. Juli 2006

Man kann ohnehin nichts Neues mehr schreiben ...

Diesen Spruch habe ich nun schon so häufig gehört – und zwar allzu oft als Ausrede für einfallslose Geschichten. Erst heute kam er auf einem Forum wieder zur Sprache, und das nehme ich jetzt mal zum Anlass, einen Blog-Eintrag diesem Thema zu widmen.


Angeblich muss man sich ja als Autor heutzutage nichts mehr einfallen lassen. Alles ist schon geschrieben worden, und Bücher wie die "20 Masterplots" legen nahe, dass im Grunde ohnehin nur dieselben Geschichten immer wieder wiederholt werden. Das ist aus einer gewissen Perspektive heraus sicher richtig – trotzdem ist es Blödsinn. Denn richtig wird es nur dann, wenn man die Bedeutung dermaßen allgemein fasst, dass überhaupt nichts mehr damit ausgesagt wird.
   Nehmen wir als Beispiel mal die Sprache: Die Anzahl der Worte ist endlich, selbst wenn man alle Worte in allen Sprachen zusammennimmt. Von ein paar Neologismen abgesehen ist jedes Wort auch schon mal verwendet worden - logischerweise, sonst würde ja niemand es kennen. Trotzdem: Wer würde behaupten, dass man "eh nichts Neues mehr sagen kann, weil jedes Wort schon mal irgendwo gefallen ist"? Und wer könnte das behaupten, ohne sich lächerlich zu machen?
  Und nichts anderes behauptet derjenige, der die Ansicht vertritt, dass man keine neuen Geschichten mehr schreiben könne. Denn genau wie Worte sind auch Redewendungen, Bilder, Themen und auch die »20 Masterplots« nur die Bausteine einer Geschichte. Zu behaupten, man könne keine neuen Geschichten mehr schreiben, weil ja die Bausteine alle schon mal verwendet wurden, ist in dem einen Fall so sinnlos wie in dem anderen. Denn eine Geschichte besteht nicht nur aus willkürlich in einen Topf geworfenen Bausteinen - die Komposition dieser Bestandteile ist entscheidend.
  Und weil im Gegensatz zu den Bestandteilen die Variationsmöglichkeiten derselben potenziell unendlich sind, kann man auch jederzeit etwas Neues schreiben.


Ich halte die Behauptung, dass es nichts Neues mehr gäbe, sogar in der Entwicklung eines Autors für schädlich. Ich muss dabei stets an meine Fahrschulzeit denken: Dort empfahl nämlich der Lehrer im Unterricht, dass man nicht auf die Hindernisse schauen soll, sondern auf den Weg an den Hindernissen vorbei. Denn ganz unbewusst folgt die Lenkbewegung immer dem Auge, und wer starr auf den gefährlichen Baum am Straßenrand blickt, der wird irgendwann auch dort landen; aber wer das Auge auf der Straße hält, der bleibt auch drauf.
  Diesen Vergleich finde ich für viele Bereiche recht treffend, und ganz besonders auch in diesem Fall. Wer also behauptet, es gäbe nichts Neues, der hält seinen Blick stets auf das Hindernis gerichtet, schaut starr auf den Baum am Straßenrand und sieht nichts anderes mehr. Denn wer stets den Gedanken im Hinterkopf hat, dass es »nichts Neues mehr gibt«, der wird das Neue auch nicht sehen; und wer die Ausrede schon in der Hand hält, wird sich auch leichter mit Ergebnissen zufrieden geben, für die er die Ausrede braucht.
  Wer hingegen felsenfest davon überzeugt ist, dass er die bahnbrechende, neue, noch nie da gewesene Idee gefunden hat ... irrt sich womöglich und oft, und komponiert doch nur zu 99% die altgewohnten Bestandteile in den altgedienten Bahnen. Aber er hält sich zumindest die Möglichkeit offen, jenes 1% zu finden, das gerade sein Werk einzigartig macht - durch Elan, fehlende Scheuklappen und den ständigen Drang, zumindest immer nach etwas Neuem zu suchen.

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