Dienstag, 18. April 2006

Ehrenmord

Nun liegt also das Urteil im so genannten »Ehrenmord«-Prozess vor. Wer nicht auf dem laufenden ist: Es geht hier um eine junge Frau türkischer Abstammung, die von ihrem Bruder erschossen wurde, weil sie sich einer Zwangsheirat entzogen hat und sich in ihrem Lebensstil zu sehr an deutschen Maßstäben orientiert hat.
  Umstritten war in diesem Fall vor allem, in welchem Maße der Familie insgesamt eine Mitschuld zuzuschreiben ist. Nun wurde der Täter nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, nahe an der Höchstgrenze des Strafmaßes. Und der Rest der Familie, dem man die Tatbeteiligung nicht nachweisen konnte, wurde freigesprochen.
  Das klingt, nüchtern betrachtet, treu nach Recht und Gesetz gehandelt. Und doch bleibt ein Gefühl der Unzufriedenheit, das auch im Blätterwald und in der politischen Landschaft nachhallt. Ein Gefühl, das allerdings mehr ist als bloßer Populismus oder »gesundes Volksempfinden« auf Bildzeitungsniveau. Denn wenn man die Zusammenhänge verfolgt, kann man dieses Empfinden durchaus auch sachlich auf den Punkt bringen und feststellen, dass es mindestens ebenso aus den Wurzeln der Rechtspflege gespeist wird wie das Urteil selbst.


Warum die juristische Aufarbeitung des »Ehrenmordes« zu Recht Unzufriedenheit zurücklässt, habe ich in einem ausführlicherem Aufsatz aufgeschlüsselt.


Nachtrag vom 20.4.2006:

Forderungen an die Familie des Täters, Deutschland zu verlassen, kommentierte die FDP-Politikerin Leutheusser-Schnarrenberger dem Kölner Stadtanzeiger zufolge mit den Worten: »Es gibt keine Sippenhaft in Deutschland«.
Sippenhaft bedeutet, dass das Umfeld eines Täters für eine Tat bestraft wird, mit der es nichts zu tun hat. Im vorliegenden Fall ist es allerdings genau umgekehrt: Auch wenn die Familie in strafrechtlichem Sinne nicht an der Tat beteiligt war, so hat sie die Tat doch gebilligt und die Grundlage dafür geschaffen. Und bestraft worden sind die übrigen Familienmitglieder für diese geistige und möglicherweise auch logistische Teilhabe an der Tat ja eben nicht.
Hier liegt also eher das Gegenteil von Sippenhaft vor, und die unverbindliche Anfrage an die Familie, ob sie tatsächlich in einem Land bleiben möchte, dessen Werte ihr derart fremd sind, klingt durchaus gerechtfertigt.

Schlimmer allerdings: Frau Leutheusser-Schnarrenbergers Worte sind eine Beleidigung für all diejenigen Personen, die tatsächlich in irgendeiner Form unter »Sippenhaft« zu leiden haben. Durch den Begriff »Sippenhaft« werden offensichtlich verwickelte und die Tat billigende Familienangehörigen mit unbeteiligten Angehörigen in einen Topf geworfen, was die Trennung zwischen Tätern und Opfern aufweicht.
Hier liegt also ein gutes Beispiel vor für das von mir im ausführlichen Artikel angesprochene »Bedenkenträgertum«, das Lösungen verhindert und letztendlich nur polarisiert und Öl ins Feuer gießt. Wer verhindern will, dass von »den Türken« oder »dem Ausländerproblem« geredet wird, der sollte froh sein, wenn sich der Blick auf ein tatsächlich verantwortliches Täterumfeld konzentrieren lässt.

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