Freitag, 25. August 2006

Immer langsam!

Heute möchte ich von der Speispinne erzählen. Dieses Tierchen spinnt keine Netze, sondern verschießt sie stattdessen: Wie der Jäger auf der Pirsch visiert sie die Beute an – und nagelt sie dann mit rasend schnell verschleuderten Fäden am Boden fest.
  Nun gut, vielleicht nicht ganz so wie der Jäger auf der Pirsch.
  Aber alles hat seinen Preis. Der Preis für diese beeindruckende High-Tech-Ausstattung dieser Spinne ist eine leicht deformierte Kopfform: Sie erinnert ein wenig an einen Amboss. Ansonsten ist die Spinne eher klein und unauffällig, leicht getigert – und langsam. Das stand tatsächlich als Erkennungsmerkmal in einem Spinnen-Bestimmungsbuch.
  Augenblick mal – langsam? Jede Spinne kann sich doch mal langsam bewegen. Manche sitzen sogar den ganzen Tag in ihrem Netz und bewegen sich gar nicht! Was also soll das denn für ein Merkmal sein? So habe ich zumindest gedacht, als ich zum ersten Mal die Beschreibung der Speispinne gelesen hatte.
  Als ich das Tier dann zum ersten Mal tatsächlich sah, wusste ich es besser: Langsam ist eine hervorragende Beschreibung für die Speispinne: Mehr muss man nicht wissen, um sie zu erkennen! Wenn man eine Spinne sieht, die sich langsam bewegt, und man fragt sich, ob es eine Speispinne ist – dann ist es keine. Denn wenn es eine Speispinne wäre, wüsste man es ohne Frage. So bedächtig bewegt sie sich, wie in Zeitlupe.
  Es ist beeindruckend. Nicht beeindruckend im Sinne von »groß« (das Exemplar, das ich im letzten Jahr im Keller gefunden habe, maß vielleicht 1cm Körperlänge). Natürlich auch nicht beeindruckend im Sinne von »bedrohlich«. Eher beeindruckend im Sinne von: »Wie kann etwas überleben, was sich so langsam bewegt?«
  Wenn so eine Speispinne einen Schritt tut, hat man das Gefühl, sie müsse erst mal genau darüber nachdenken. Mehrfach während des Schrittes. Was mit dem aufs Netze-Schießen hin optimierten Kopf anscheinend etwas länger dauert.


Nun ja, es hat natürlich einen Grund, dass ich heute von der Speispinne erzähle: Gestern habe ich wieder ein neue im Keller entdeckt. Ich finde diese Viecher einfach cool – es hat etwas Beruhigendes, ihnen zuzusehen, wenn sie bedächtig wie ein Schachspieler ihren nächsten Zug planen.
  Außerdem sind sie nützlich: Sie sind ganz besonders auf Silberfische spezialisiert, und deshalb ist die Spinne, die ich letztes Jahr entdeckt habe, als Erstes in unser Bad geschleppt worden. Speispinnen sind auch selten – und daher betrachte ich sie auch als wertvoll. Ich würde jederzeit ihr Gewicht in Gold aufwiegen ... Zum Glück ist die Speispinne dieses Jahr kleiner als die vom letzten und dürfte deutlich weniger als 1 Gramm auf die Waage bringen.
  Und auch deutlich agiler. Gar so langsam ist die Neue nämlich nicht. Sie ist tatsächlich regelrecht forsch im Vergleich zu ihrem Artgenossen im letzten Jahr – zumindest auf ihre eigene, bedächtige Speispinnen-Art.
  Aber wie sie inmitten all der gefährlichen Raubspinnen im Keller überleben kann, frage ich mich immer noch.

Keine Kommentare: