Samstag, 2. September 2006

Von Gutmenschen und Schlechtmenschen

Eigentlich wollte ich heute ja unter die Lupe nehmen, was die Schlechtmenschen so zur Krankenversicherung schreiben. Aber womöglich wissen meine Leser noch gar nicht, was ein "Schlechtmensch" eigentlich ist? Also erkläre ich erst einmal das.
  Was ein "Gutmensch" ist, weiß wohl jeder. Kein Wunder, wo man dieses Wort doch unentwegt überall zu lesen bekommt. Aber andererseits ... oft wird so leichtsinnig jeder politische Gegner als "Gutmensch" bezeichnet, dass der ein oder andere vielleicht doch schon wieder vergessen hat, was damit eigentlich gemeint ist?
  Ursprünglich wurde damit ein Menschentypus bezeichnet, der wahrscheinlich jedem von uns schon mal auf die Nerven gegangen ist: der typische "Sozialpädagoge" der unangenehm salbungsvollen Art, ein naiver Vertreter vorwiegend des linken Spektrums, der zwar an das Gute in der Welt glaubt, aber das schlechte nicht wahrhaben will. Zumindest nicht das Schlechte, das naturgemäß im Menschen steckt. Schlecht ist hingegen alles, was von der "Gesellschaft" kommt - was auch immer nun diese Gesellschaft sein mag.
  Der Gutmensch ist gut darin, Bedenken zu finden; und er setzt sich sehr für die Rechte benachteiligter Minderheiten ein - wie beispielsweise Gewaltverbrecher, jugendliche Intensivstraftäter, den kriminellen Teil unserer ausländischen Mitbürger, paranoide Verschwörungstheoretiker, Sozialschmarotzer und was es sonst noch an schützenswerten Schwachen in der bösen Gesellschaft gibt. Und er nervt ganz besonders, wenn er mal wieder Scheuklappen verteilen will - die man natürlich dringend braucht, wenn man ihm auf seinem Weg folgen will.
  Das also versteht man unter einem "Gutmenschen".


Nun ist es allerdings zunehmend in Mode gekommen, wirklich jeden als "Gutmenschen" zu beschimpfen, der sich für Gerechtigkeit und soziales Miteinander einsetzt. Damit versuchen vor allem Vertreter des äußersten neoliberalen Spektrums Kritiker auszugrenzen und einer Diskussion über Inhalte aus dem Weg zu gehen: Denn mit den oben genannten "Gutmenschen" will ja nun wirklich kaum jemand verglichen werden, und so eignet sich die Diffamierung als "Gutmensch" hervorragend, um seine Gegner ins Abseits zu stellen - besonders, wenn sie Recht haben und Argumente vorbringen, zu denen man sonst nichts zu sagen weiß.
  Das Problem ist nun: Zwar weiß jeder (zumindest in etwa) was ein Gutmensch ist, und so können die Vertreter des extremen neoliberalen Spektrums mit einem prägnanten Kampfbegriff ihre Gegner diffamieren. Aber sie selbst sind fein heraus: Gibt es doch keinen vergleichbar griffigen Ausdruck, mit denen man sie angreifen und sich wehren kann.
  Zum Glück entspricht es den Gesetzen der Marktwirtschaft, dass auf jeden Mangel ein Angebot folgt. Ich werde also nun den fehlenden Begriff auf den Markt werfen und in Zukunft einfach vom "Schlechtmenschen" reden. Das liegt nahe, denn zum einen sind die echten "Schlechtmenschen" so ziemlich das genaue Gegenteil des echten "Gutmenschen", nur eben in der neoliberalen Ecke; und zum anderen lästern diese "Schlechtmenschen" mit einer solchen Vehemenz (wenn es nicht um die soziale, sondern um die sexuelle Ausrichtung ginge, könnte man sagen: mit einer solchen Homophobie) gegen die "Gutmenschen", dass sie sich offenbar gar nicht weit genug davon abgrenzen können.
  Also dürften sie sich auch nicht beklagen, wenn man sie mit dem exakten Antonym eines "Gutmenschen" bezeichnet.


Also, kurz zusammengefasst: Wenn ich in Zukunft vom "Schlechtmenschen" spreche, meine ich einen typischen, naiven und instinktgesteuerten Vertreter des neoliberalen Spektrums, der in reflexhaften Widerspruch verfällt, sobald von "Partnerschaft", "Solidarität" oder "sozialem Miteinander" die Rede ist. Der "Schlechtmensch" leugnet die Existenz einer Gesellschaft in demselben Maße, wie der "Gutmensch" ihr alles Schlechte zuschreiben möchte.
  Der archetypische "Schlechtmensch" (der natürlich ebenso wie der "Gutmensch" in der Realität niemals in reinster Form vorkommt) akzeptiert den Begriff "Gesellschaft" nur als abstrakte Bezeichnung für ein Konglomerat konkreter freier Individuen und widersetzt sich jedem Versuch, die Anhäufung von Einzelpersonen in irgendeiner Form zu einem homogenen Ganzen organisieren zu wollen. Abgesehen natürlich von den ordnenden Elementen, aus denen er als Individuum ganz konkret einen persönlichen Nutzen ziehen kann.
  Den "Schlechtmenschen" erkennt man im Alltag vorzugsweise daran, dass er den Begriff "Gutmensch" exzessiv verwendet und jeden politischen Gegner gerne so bezeichnet - am liebsten, ohne dass diese Bezeichnung genauer hinterfragt wird.
  So oder so ähnlich sieht jedenfalls der Typus aus, den ich vor Augen habe, wenn ich in Zukunft ganz griffig und plakativ einfach nur vom "Schlechtmensch" spreche. Nur damit niemand über das Wort stolpert ...

2 Kommentare:

Harald A. Irmer hat gesagt…

http://www.zeit.de/2009/53/DOS-Gutmensch?commentstart=57#comments

62. Auszeichnung "Verdienter Gutmensch"!

"Gutmensch" ist bisher(!) ein bedeutungsschwaches Schand-Attribut genauso wie es "Made in Germany" gewesen ist. Warum "Gutmensch" etwas Schlechtes sein soll, erschließt sich auch nicht. Bestimmende Kreise haben einfach festgelegt, "Gutmensch" ist schlecht. Basta!

Insofern ist das Bemühen des Autors[Greiner/ZEIT], das Schand-Attribut zu rechtfertigen, völlig verfehlt.

Irgendwann ist's Ende mit "Basta!":

Viel besser, als das Schand-Attribut "Gutmensch" zu ignorieren, sollte man es zu einem Wert-Attribut umdeuten, wie mit "Made in Germany" erfolgreich geschehen.

Zum besseren Verständnis noch ein Beispiel eines auszeichnungswürdigen Gutmenschen: Ich lese gerade von einem Chemiker, der von seinem Arbeitgeber wegen "Naivität und praxisfernen Idealen" entlassen worden ist. Genau das wirft man den Gutmenschen vor. Und was hat der Böse^WGute getan?! Er hat bei seinem Arbeitgeber dagegen protestiert, daß dieser "100% reiner Apfelsaft" vollständig synthetisch (ohne Äpfel) herstellen wollte.

Für mich kommt in die Nähe eines auszeichnungswürdigen Gutmenschen jeder, der Gesetze, Verordnungen, Politik(!) etc. nach ihrem Wortlaut, d,h. danach, wie sie _verkauft(!)_ werden versteht und nicht danach, was sich nach Studium vom 500 Seiten Kommentar und Entscheidungen zu einem Paragrafen ergibt.

Bitte nicht jedes von einer deutungsmächtigen Gruppe vorgegebenes Schand-Attribut apologisieren (es muß doch irgendetwas dran sein?). Besser: Umdeuten!

Wer mich unterstützen möchte:

Harald.A.Irmer@web.de

Lomax hat gesagt…

Das Problem bei der positiven Vereinnahmung des Wortes "Gutmensch" ist ja, dass es sie wirkllich gibt, die "Gutmenschen" im negativen Sinne, die nervigen, selbstgerechten Besserwisser, die das Gute nicht tun, sondern vor sich hertragen, damit /andere/ etwas tun. Oder die Gutes predigen, was in der Praxis nicht zu Gutem führt.
Das Problem liegt m.E. nach nicht im negativ besetzten Begriff "Gutmensch". Es liegt daran, dass die "Schlechtmenschen" diesen Begriff missbrauchen und auch "gute Menschen" gerne als "Gutmensch" titulieren.
Ich persönlich halte es also für besser, die falsche und missbräuchliche Verwendung des Wortes "Gutmensch" zu brandmarken, als das Wort selbst umzudeuten. Denn wenn man den Gutmenschen wieder gut machen will, hieße das ja, dass die wirklich guten Menschen am Ende doch wiederum im selben Topf landen würden wie die Nervensägen und kurzsichtigen Dummköpfe - und das würde zwangsläufig abfärben und es leicht machen, das Streben nach Verbesserung zu diskreditieren.