In der Zeitschrift "Technology Review" fand sich letztens (okay, Ende April und vor meiner Reise...) ein Test mit 50 wissenschaftlichen Fragen, deren Antwort "man" angeblich kennen "muss". Nun bin ich ja zum einen wissenschaftlich interessiert, und hatte zum anderen auch "Prüfungs- und Testverfahren" als Schwerpunktthema im Staatsexamen. Auf diese Weise doppelt herausgefordert, habe ich den "Test" also gleich mal "getestet".
Das erste bemerkenswerte Ergebnis waren 100% in Chemie. Da ich nun in diesem Fachgebiet noch am wenigsten Ahnung habe und zudem selbst auch sehr genau weiß, dass ich bei jeder Frage unsicher war und die Antwort nur geraten habe, spricht das Ergebnis nicht unbedingt für meine Chemiekenntnisse, sondern eher gegen die Aussagekraft des Tests.
Maschinenbau hingegen zählte nicht zu meinen Stärken. Das ist eigentlich nicht erstaunlich - aber die Art, wie das Ergebnis dann zustande kam, wunderte mich doch. Eine der Fragen, die ich falsch beantwortet hatte, lautete: "Wozu dient ein Getriebe?" Nun weiß ich ziemlich genau, was ein Getriebe ist, und könnte theoretisch auch eines bauen ... wenn man denn ein Getriebe theoretisch bauen könnte und dafür nicht auch noch handwerkliche Fähigkeiten nötig wären :-( Das allerdings war in den Antwortvorgaben nicht gefragt, sondern stattdessen musste man sich zwischen vier Erklärungen entscheiden, die einander teilweise recht ähnlich waren und mit Fachworten gespickt. Und im Gegensatz zur Funktionsweise eines Getriebes kannte ich diese Fachworte eben nicht alle exakt, sondern wusste ihre Bedeutung meist nur so in etwa. Was in dem Falle nicht ausreichte, um die richtige Lösung zu erraten.
Der Bereich Maschinenbau umfasste so wenige Fragen, dass diese eine falsche Antwort schon den Unterschied zwischen einem guten und einem durchschnittlichen Ergebnis ausmachte. Und wenn ich mir nun überlege, dass der Test zwar gute Kenntnisse im Maschinenbau attestiert, wenn man exakte fachsprachliche Begriffsdefinitionen auswendig kennt, aber nicht, wenn man Maschinenteile wirklich bauen kann ... Dann bin ich wieder an dem Punkt, wo zweifelhaft wird, ob dieser Test seinen intendierten Anspruch tatsächlich erfüllen kann.
Vollends absurd wurde es dann allerdings im Bereich Umwelt, nämlich bei der Frage: "Wenn die Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre auf dem Niveau des Jahres 2000 eingefroren würde, um wie viel würde die Durchschnittstemperatur der Erde laut Weltklimarat pro Jahrzehnt weiter ansteigen?"
Nun weiß jeder, der den wissenschaftlichen Diskurs zum Klimawandel verfolgt, dass es bisher noch kein wissenschaftlich abgesichertes Modell gibt, das den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Temperaturanstieg quantifizieren kann. Alle Algorithmen, die dazu entwickelt wurden, sind bisher an der Prognose gescheitert und müssen daher als widerlegt gelten. Selbst wenn man also einen Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und Erwärmung annimmt, was im Grunde plausibel scheint, so muss man doch bei korrekter wissenschaftlicher Arbeitsweise zugeben, dass bis heute niemand das exakt ausrechnen kann.
Was man also bei dieser Frage wissen sollte, war keine wissenschaftliche Erkenntnis - es war eine konkrete Zahl, die ausdrückt, was irgendwann mal irgendwelche Wissenschaftler aufgrund einer inzwischen überholten Theorie glaubten, was passieren könnte, wenn ein gewisses Ereignis stattfände, von dem man inzwischen ebenfalls weiß, dass es nicht eingetreten ist - denn bekannterweise wurde der CO2-Ausstoß im Jahr 2000 nicht eingefroren. Abgefragt wurde also ein episodisches Faktum, das an konkreter wissenschaftlicher Relevanz kaum noch zu unterbieten ist. Welcher Fachwissenschaftler das auch immer als Ausdruck "besonders guter wissenschaftlicher Allgemeinbildung" in den Test gebracht hat: Er muss eine Vorstellung von wissenschaftlicher Methodik haben, die eines Sozialpädagogen würdig wäre.
Was also lerne ich aus diesem Test? Nun, zunächst einmal illustriert er wieder ein Problem, dass schon während meines Studiums zum Thema "Prüfungsverfahren" thematisiert wurde: dass sich nämlich nur episodisches Wissen eindeutig abfragen lässt, also "Lexikoneinträge" etc., nicht jedoch strukturelles Wissen - also die Fähigkeit, Fakten in einen sinnvollen Kontext zu setzen und damit zu arbeiten. Und episodisches Wissen veraltet nicht nur besonders schnell, es gibt auch kein wirklich wichtiges episodisches Wissen.
Wohlgemerkt: Das bedeutet nicht, dass episodisches Wissen an sich unwichtig wäre. Man braucht einen reichhaltigen Fundus an Fakten, um strukturelles Wissen daraus bilden zu können. Das Problem fängt erst dann an, wenn man einige einzelne, konkrete Fakten herausgreift und sie für "besonders wichtig" erklären möchte. Denn für sich genommen ist episodisches Wissen nur von exemplarischem Wert und relativ austauschbar.
Und was ist es wert, wenn ein Ankreuztest in einer Zeitschrift selbstbewusst eine allgemeine Aussagekraft für sich in Anspruch nimmt und auf die "20 herausragenden Wissenschaftler" verweist, die daran mitgearbeitet haben? Nun, vor allem ist diese Ankündigung ein Hinweis darauf, woher die anderen, vermeidbaren Schwächen rühren - insbesondere die übermäßige Ballung fachsprachlicher Begriffe und die Konzentration auf quantitative anstatt qualitativer Abgrenzung in den Antwortvorgaben. Da kann man sich nicht mal mehr über ein an sich gutes Ergebnis freuen, weil man das Gefühl bekommt, dass man es nicht für sein Wissen bekommen hat, sondern weil man sich erfolgreich durch einen großen Berg Fachwortsalat gefressen hat.
Dann illustriert dieser Fragebogen zuallererst eines: dass man einen Test zu Fragen der Allgemeinbildung niemals von Fachwissenschaftlern formulieren lassen sollte. Denn so schwer es auch ist, den Bildungsbegriff überhaupt irgendwie belastbar zu quantifizieren: Gemeinwissen ist nun eben das Fachgebiet, auf dem Fachwissenschaftler in aller Regel die größten Laien sind.
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